Wer etwas über die Zahl der Infektionen mit Geschlechtskrankheiten wissen will, der muss in Deutschland schon nach Sachsen oder dann zum Vergleich auf die Statistiken in anderen Ländern der westlichen Hemisphäre schauen. Denn der Freistaat ist in Deutschland das einzige Bundesland, in dem auch Ansteckungen mit Chlamydien und Gonokokken (Tripper-Bakterien) gemeldet werden müssen. Die Erhebungen dort oder in Ländern wie Großbritannien und den USA sprechen eine deutliche Sprache: die Zahl der Infektionen mit Geschlechtskrankheiten ist 2018 das fünfte Jahr in Folge gestiegen und auf dem höchsten Stand seit 2000.
In Zahlen sieht das noch dramatischer aus: in Sachsen hat sich die Ansteckung mit Tripper zwischen 1999 und 2017 von zwei Fällen pro 100.000 Männer und Frauen auf 21 Fälle mehr als verzehnfacht. Bei Chlamydien gab es zwischen 2003 und 2012 eine Vervierfachung der Erkrankungen. Der fast vergessene Partner der Gonorrhoe (Tripper), die Syphilis, ist ebenfalls zurück in unserem Alltag. Diese Geschlechtskrankheit, die bei Nichtbehandlung schwerste Schäden im Körper und vor allem im Gehirn des Menschen verursachen kann, tritt in westlichen Gesellschaften mittlerweile fast doppelt so häufig auf wie noch vor zehn Jahren.
Hinweis: Die folgenden Informationen sind als allgemeine Hinweise gedacht und richten sich an Personen, die sich über dieses Thema informieren möchten. Sie ersetzen keine ärztliche Beratung! Weiterführende Informationen erhalten Sie vom Arzt Ihres Vertrauens.
Inhaltsverzeichnis
- Gonorrhoe – das ultraschlaue Bakterium
- Veränderte Übertragungsmuster
- Was haben Tinder und andere Dating-Apps mit dem Comeback von Tripper & Co. zu tun?
- Neue Diagnose- und Screeningmethoden
- Schutz & Vorsorge: vor allem Frauen sollten besonders wachsam sein!
- Geschlechtskrankheiten
- Was ist eine sogenannte Geschlechtskrankheit?
- Wie erkenne ich, dass ich mich mit einer Geschlechtskrankheit infiziert habe?
- Das sind die 7 häufigsten Infektionen
Gonorrhoe – das ultraschlaue Bakterium
Weswegen die klassischen Geschlechtskrankheiten, die vorhergehenden Generationen so schwer zu schaffen machten und durch Aufklärung und Vorsorge fast eliminiert waren, nun doch mit einigen Ausrufezeichen zurückkehren, hat verschiedene Gründe. Einer ist, dass die Tripper-Bakterien ein „schlauer Organismus“ sind, der innerhalb von verhältnismäßig kurzen Zeitspannen Resistenzen gegen die gegen ihn eingesetzten Antibiotika entwickelt. Laut Dr. Gail Bolan, der Direktorin der Abteilung „Geschlechtskrankheiten“ innerhalb der staatlichen Behörde Centers for Disease Control und Prevention (CDC) in den USA, habe man nur noch ein Antibiotikum in der Pipeline.
„Aber es ist eine Frage der Zeit“ so Bolan „bis der Organismus uns überlistet“. Diese Vorhersage unterstreicht die Bedeutung der Entwicklung neuer Antibiotika und neuartiger Behandlungsoptionen wie Impfstoffen. Während die Forscher keine Anzeichen sehen, dass auch Syphilis- oder Chlamydien-Bakterien eine Medikamentenresistenz entwickeln, kann dies theoretisch jedem Bakterium oder jedem Virus gelingen. Endgültig zu gewinnen ist der Kampf gegen Geschlechtskrankheiten somit nicht und größte Wachsamkeit auch in der Zukunft geboten.
Veränderte Übertragungsmuster
Während in den vergangenen Jahrzehnten – gerade im Fall von Syphilis – vorwiegend Übertragungen von Männern zu Männern beim homosexuellen Geschlechtsverkehr verzeichnet wurden, sind mittlerweile auch wieder alle anderen Lebensgemeinschaften in den Fokus gerückt. Zum Leidwesen vieler Mediziner, wissen viele Communities gar nichts über ihren erhöhten Gefährdungsgrad, sich mit Geschlechtskrankheiten anzustecken. Vorsorge- und Aufklärungsinstitutionen sind deshalb – nach den alarmierenden Zahlen – wieder auf dem Weg zu expandieren, um sicherzustellen, dass Männer und Frauen die richtigen Vorsorge-, Behandlungs- und Präventionsbotschaften erhalten.
Was haben Tinder und andere Dating-Apps mit dem Comeback von Tripper & Co. zu tun?
Aufklärungsexperten hatten sich ab Beginn der 1980er Jahre mit der Ausbreitung von AIDS beschäftigt und dabei vor allem die Gay-Sexclubs und öffentlichen Saunen und Badehäuser ins Visier genommen. Doch in der Schwulen-Community ist die Message längst angekommen, der HI-Virus auf dem Rückzug. Dafür haben ganz andere Verursacher und Verbreiter von Geschlechtskrankheiten ihren Platz eingenommen. Ganz vorn dabei – da sind sich Experten mittlerweile einig: Tinder, Grindr und andere Dating-Apps.
Hier sind Mr. und Mrs. Right eigentlich immer zu finden, was risikoreiche sexuelle Verhaltensweisen ungemein befeuert. Im Gegensatz zu den 1980er und 1990er Jahren werden heute deutlich mehr sexuelle Begegnungen arrangiert. Und zwar vor allem unter heterosexuellen Partnern. Gesundheitsexperten betrachten Apps und Websites wie Tinder, Grindr und OkCupid zunehmend als Marktplätze für Sex mit hohem Ansteckungsrisiko. Den Dienst von Tinder haben seit seiner Gründung etwa 50 Millionen Menschen in Anspruch genommen, bei Grindr sind es immer noch 30 Millionen. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszurechnen, wie hoch hier der Ansteckungs- und Weiterübertragungsfaktor ist. Noch bis vor kurzem wollten sich viele Dating-Netzwerke gar nicht an einer Prävention gegen Geschlechtskrankheiten beteiligten noch erkennen, welche Auswirkungen ihre Aktivitäten auf die öffentliche Gesundheit haben.
Doch mittlerweile haben sowohl die Betreiber von Dating-Apps als auch die Vertreter der medizinischen Vorsorge-Institutionen die Risiken und Chance der neuen Technologie erkannt. Während es immer mehr Dating-Portale gibt, die an Zusatzfunktionen arbeiten über die das Verbreitungsrisiko von ansteckenden Infektionen zu erkennen ist, nutzen medizinische Einrichtungen das Verbreitungspotential der sozialen Netzwerke zur Aufklärung. „Dating-Apps sind mit Sicherheit für den Anstieg der Infektion mit Geschlechtskrankheiten verantwortlich“, so Norbert Brockmeyer, Präsident der Gesellschaft zur Förderung der sexuellen Gesundheit. „Aber sie sind nun mal in der Welt und wir wissen mittlerweile, wie wir mit ihnen arbeiten können. Sie bieten uns neben allem Risiko eine großartige Gelegenheit, Menschen zu erreichen.“
Neue Diagnose- und Screeningmethoden
Zu einer erhöhten Anzahl von Infektionen tragen allerdings auch völlig neue Diagnose- und Screeningmethoden bei, durch die Geschlechtskrankheiten besser erkannt werden können. Ebenfalls ursächlich ist der Fakt, dass sich die Vorliebe für gewisse sexuelle Praktiken stark gewandelt hat. Heute haben deutlich mehr Männer und Frauen Oral- und Analverkehr als noch vor 30 Jahren. Dabei weiß bei weitem nicht jeder, dass es sich bei den meisten Geschlechtskrankheiten um sogenannte Schmierinfektionen handelt, die auch oral übertragen werden können. Krankheiten wie HPV, Herpes oder Syphilis können auch über Stellen transportiert werden, die zum Beispiel ein schützendes Kondom gar nicht abdeckt. Finger, die ein Geschlechtsteil berührt haben, können danach in Mund oder Augen gesteckt werden und dort die Bakterien übertragen. Und Herpesbläschen am Mund können sich beim Oralverkehr auf die Genitalien übertragen und dort Herpes genitalis auslösen.
Schutz & Vorsorge: vor allem Frauen sollten besonders wachsam sein!
Die größte Sicherheit gegen die Übertragung von Geschlechtskrankheit bietet nach wie vor ein Kondom. Doch besonders wachsam sollten junge Frauen sein. Denn laut Norbert Brockmeyer hätten sie „am allermeisten zu verlieren“. Denn Infektionen – gerade die lange unbehandelten – können zu Unfruchtbarkeit, chronischen Beckenentzündungen und sogar zu Gebärmutterhalskrebs führen. Fast die Hälfte aller Chlamydien-Fälle (der mit Abstand verbreitetsten Geschlechtskrankheit) werden bei Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren diagnostiziert. Wenn junge Frauen häufig ihre Geschlechtspartner wechseln, ist ihnen zu raten häufiger Untersuchungen durchführen oder sich sogar impfen zu lassen. Gegen die krebsauslösenden humanen Papillomaviren gibt es seit 2006 eine solche Möglichkeit. Junge Paare können sich vor dem Eintritt in eine langjährige sexuelle Beziehung beide auf diverse Geschlechtskrankheiten testen lassen. Und alle potentiell Betroffenen sollten nie vergessen: Geschlechtskrankheiten sind nahezu alle überaus gut und wirksam zu behandeln und zu heilen – vorausgesetzt sie werden rechtzeitig erkannt.
Im zweiten Teil unseres Beitrags geht es um die Frage, woran man erkennt, dass man mit einer Geschlechtskrankheit infiziert ist und was die häufigsten Infektionen sind.
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin