Wir von CarlMarie haben uns mit der studierten Kinderpsychologin über die größten Einflüsse ihrer Arbeit, die internationalen Aussichten der deutschen Bundesliga und ihren manchmal neidischen Blick auf die Konkurrenz aus Dresden unterhalten.
Das Finale war an Dramatik kaum zu überbieten. In fünf Spielen, mit fast der Maximalzahl an Sätzen, schafften es die Stuttgarter Volleyballerinnen Titelverteidiger und Rekordsieger SSC Palmberg Schwerin niederzuringen und erstmals Meister zu werden. Damit wurde eine Entwicklung gekrönt, welche die Schwaben in den vergangenen Jahren in die Spitze des deutschen Frauenvolleyball und dort in einen ständigen Dreikampf mit den Mannschaften aus Dresden und Schwerin geführt hat. Nicht wenige sehen eine erst 31-jährige Niederländerin als Mutter dieses Erfolges. Wir haben uns mit ihr unterhalten:
CarlMarie: Kim, du bist Sportchefin bei Allianz MTV Stuttgart. Dein Verein hat sich eigentlich seit vier Jahren mit SSC Palmberg Schwerin und dem DSC aus Dresden einen packenden Dreikampf um die deutsche Meisterschaft geliefert. Nach einigen Anläufen hat es nun vor wenigen Wochen zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte mit dem Titel geklappt. Was ist dieses Jahr anders gelaufen, als vorher?
Kim Renkema: Obwohl in unserer Welt Verträge meist nur eine kurze Laufzeit haben, hatten wir das Glück in den vergangenen drei Jahren auf ein festes Fundament bauen zu können. Wir haben mit Molly McCage die beste Mittelblockerin der Liga und mit Micheli Tomazela Pissinato sowie Außenangreiferin Renata Sandor, Spielerinnen, die seit fünf Jahren im Verein sind. Die wollten das jetzt einfach wissen und waren aufgrund ihrer Erfahrung auch reif dafür. Sie haben den jüngeren Teamkameradinnen die Coolness vermittelt, die man gerade in den engen Finalspielen braucht. Am Ende muss man – gerade wenn man das Play Off-Finale in fünf Spielen gewinnt – natürlich auch zwei, drei gute Tage erwischen. Das nennt man in Deutschland glaube ich „Schlachtenglück“. (lacht)
CarlMarie: Mit Glück allein landet man auch im Frauen-Volleyball aber mit Sicherheit nicht mit dieser Regelmäßigkeit – sowohl in Pokal als auch Meisterschaft – in den letzten Runden. Du bist jetzt seit über zwei Jahren für die sportliche Entwicklung des Vereins zuständig. Hast du gleich gesehen, an welchen Schrauben man beim MTV drehen muss, um den Erfolg zu erzwingen?
Kim Renkema: Wenn ich zurückschaue, wurden die Weichen für die jüngsten Erfolge eigentlich vor drei Jahren gelegt. Damals begann eine neue Mannschaft in der Geschäftsstelle an den Start zu gehen. Es wurden zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte zwei hauptamtliche Posten geschaffen. Mit Aurel Irion kam 2016 ein neuer Geschäftsführer und 2017 ich als hauptamtliche Sportdirektorin. Vorher hatte beide Aufgabenbereiche Bernhard Lobmüller allein und vor allem ehrenamtlich ausgefüllt. Er war wirklich der Vater des Aufstiegs des MTV. Aber unsere Aufgabe war es nun alle Strukturen wirklich zu professionalisieren.
CarlMarie: Und wie sieht das konkret aus?
Kim Renkema: Das geht mit dem Geld los. Wir haben gesehen, dass wir unseren Etat steigern mussten. Ist passiert: der Etat von Allianz MTV Stuttgart wurde innerhalb der letzten drei Jahre um 40 Prozent gesteigert. Wir hatten Nachholbedarf bezüglich des Nachwuchses und haben die Kontakte zu unserer Akademie und zu unserem Bundesstützpunkt deutlich intensiver gepflegt als vorher. Im Ergebnis konnten wir mit Annie Cesar nun erstmals eine eigene Jugendspielerin in der 1. Mannschaft integrieren. Und wir haben natürlich durch entsprechendes Marketing auch unseren Zuschauerschnitt steigern können. Und wenn die Rahmenbedingungen hergestellt sind, heißt es im Sport immer auch ein wenig Geduld haben, damit sich der Erfolg einstellen kann.
CarlMarie: Das hört sich aus deinem Mund alles so leicht an. Auf deine Person werden in Stuttgart ja mittlerweile regelrechte Lobes-Hymnen angestimmt. Michael Evers, Präsident der Volleyball-Bundesliga, sagte über dich, du hättest in jungen Jahren schon sehr viel davon, was andere in ihrem ganzen Leben nicht haben werden. Rainer Scharr, Gesellschafter und einer der zwei Hauptsponsoren behauptete, dass du genau „die richtige Frau an der richtigen Stelle“ seist und Giannis Athanasopoulos, euer Trainer, lobte fast überschwänglich: ‚Kim Renkema macht einen super Job. Sie löst jedes Problem.‘ Wie schaffst du es, so ungetrübten Respekt für deine Arbeit zu erhalten?
Kim Renkema: Ich war ja von Anfang an so etwas wie eine Wunschlösung des Vereins. Als ich 2014 nach einer zweijährigen Station beim italienischen Verein Riso Scotti Volley Pavia nach Stuttgart zurückgekehrt war, traten die Hauptsponsoren ziemlich schnell an mich heran und fragten nach, ob ich mir diese Tätigkeit bei Allianz MTV Stuttgart vorstellen kann. Ich war damals Kapitänin der Mannschaft und es war wohl aufgefallen, dass ich nicht nur sportlich Menschen führen konnte, sondern auch gerne Verantwortung außerhalb des Spielbetriebs übernahm. Und es war eigentlich schon immer so, dass ich gerne mehrere Schritte vorausgedacht habe. Ich habe mich dann schon in meinen letzten aktiven Jahren angefangen in die Sportdirektorinnen-Rolle einzufuchsen und war deshalb ab 2017 auch schon ziemlich gut vorbereitet.
CarlMarie: … das erklärt allerdings noch nicht alles. Du scheinst ja diese Rolle regelrecht neu zu interpretieren für das deutsche Frauen-Volleyball …
Kim Renkema: Ein wirklich neuer Ansatz war vielleicht, dass die Hauptsponsoren unseres Vereins nicht nur eine Erneuerung wollten, sondern auch noch eine – sagen wir mal „sehr sichtbare“ – Person dafür. Und ich schien ihnen genau die richtige Frau zu sein. Dabei verstecke ich mich bei Spielen gern auf der allerletzten Zuschauerbank. Wenn es allerdings ums Sportliche und Geschäftliche geht, kann ich sehr zupackend und direkt sein. Und noch etwas funktioniert wohl mit mir und dem Verein sehr gut. Die Schwaben sind ja so etwas wie die Super-Deutschen: besonders pünktlich, besonders korrekt und besonders zuverlässig. Und ich als Holländerin bringe da so ein wenig das kreative und unkonventionelle Element dazu. Und das macht allen Seiten Spaß. Ich denke wirklich, dass Holländer und Deutsche deswegen sehr gut zusammenarbeiten können. Den Dank an den Verein gebe ich übrigens zurück. Es gibt in Europa glaube ich nicht sehr viele Möglichkeiten auch nach seiner aktiven Karriere im Volleyball zu bleiben und weiterhin auf diesem Niveau arbeiten zu können.
CarlMarie: Du hast ja sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland und Italien erfolgreich Volleyball gespielt. An welchem Land, an welcher Liga und an welchem Verein hast du dich am stärksten orientiert, als es darum ging ein Konzept für den MTV Stuttgart zu entwickeln?
Kim Renkema: Ich bin jemand, der wirklich sehr gerne dazulernt und deswegen habe ich auch aus all meinen aktiven Stationen als Spielerin etwas mitgenommen und versuche das in meiner jetzigen Tätigkeit zu etwas Eigenem zu „verkochen“. In Italien habe ich in der, auf die Breite gesehen, stärksten Liga Europas gespielt und dort vor allem die vorbildliche Jugendarbeit als Erfolgsfaktor ausgemacht. In den Niederlanden kann man einiges über das richtige Marketing lernen. Denn obwohl die dortige Liga sehr schwach ist, ist die Nationalmannschaft Kult. Und in Deutschland schiele ich immer wieder mit einem neidischen Auge auf Dresden und Schwerin. Wie es gerade diese beiden Vereine schaffen, jedes Jahr gute Nachwuchsspielerinnen aus der Region nach oben zu bringen und zu halten, ist wirklich vorbildlich. Was übrigens meiner Meinung nach beim MTV sehr gut funktioniert, ist die Zusammenarbeit zwischen Management und Trainerteam. Wir haben in Stuttgart, mit mir und Giannis Athanasopoulos wirklich viel Volleyball-Sachverstand im Haus und sind deswegen besonders stark in der Zusammenstellung des Kaders.
CarlMarie: Apropos Schwerin, Dresden und Zusammenstellung des Kaders: Gibt es bei den beiden Konkurrenten Spielerinnen, die ihr gern in Stuttgart sehen würdet?
Kim Renkema: Natürlich. Beide Vereine haben sehr interessant Spielerinnen, auch für uns. Aber sind wir ehrlich. Es kommt nicht wirklich häufig vor, dass die deutschen Spitzenspielerinnen innerhalb der Liga und erst recht nicht zu den Hauptkonkurrenten wechseln. Wenn überhaupt, dann wird immer der Schritt ins Ausland angestrebt.
CarlMarie: Also gibt es auch keinen so großen Kontakt zum DSC?
Kim Renkema: Doch. Ich vor allem habe einen guten Draht zu Sandra Zimmermann, der Geschäftsführerin. Mit ihr spreche ich eigentlich sehr oft, vor allem auch auf den Bundesliga-Versammlungen. Ich habe mich oft mit ihr über unsere Tätigkeit unterhalten und zum Beispiel auch darüber, wie man es als Frau in einer Führungsposition schafft sich durchzusetzen. Sie ist ja schon ein bisschen länger im Geschäft und so habe ich von ihr natürlich auch einiges vermittelt bekommen und gelernt.
CarlMarie: Gibt es auch andere Schnittstellen zwischen den Vereinen?
Kim Renkema: Ja. Denn im „bigger picture“ wie man so schön sagt, wollen wir alle, dass die deutsche Bundesliga in der Gesamt-Qualität zu den Spitzenligen in Italien oder der Türkei aufschließt. Wir würden alle gerne sehen, wenn wir schon bald eine 1. Bundesliga mit 14 statt 12 Teams hätten und wenn es wieder mal eine deutsche Mannschaft schaffen würde, die Champions League zu gewinnen. Insgesamt ist die Entwicklung in der 1. Bundesliga wirklich sehr positiv. Es gibt einen TV-Vertrag und vor allem die Etats von Dresden, Schwerin und uns sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen und liegen nun bei etwa zwei Millionen Euro pro Jahr. Mit einem Gesamt-Etat von 13 Millionen Euro bei zehn Vereinen liegt der Durchschnitts-Etat in der Frauen-Bundesliga sogar höher als bei den Männern. Dennoch ist das immer noch ein gewaltiger Unterschied zu Vereinen wie Vakifbank Spor Kulübü aus Istanbul, denen schon allein ein Jahres-Budget von 16 Millionen Euro zur Verfügung steht. Der Champions League Titel ist unter solchen Umständen ein mehr als optimistisches Szenario. Aber worauf sich die deutsche Bundesliga etwas einbilden kann, ist die Ausgeglichenheit der Liga. Und um das so zu erhalten, arbeiten die Vereine doch außerhalb des Platzes lieber zusammen als gegeneinander.
CarlMarie: Also keinen Europapokal in Stuttgart in absehbarer Zukunft?
Kim Renkema: Das habe ich so nicht gesagt. Wir haben vor zwei Jahren gesagt, dass wir uns auch in Europa etablieren wollen. Und so wie alles andere haben wir auch das geschafft und sind vergangene Saison erst im Viertelfinale ausgeschieden. Und dieses Jahr wird es ja nun erstmals Champions League. Wir werden sehen, was wir dort wert sind.
CarlMarie: Nochmal zurück zu deiner Person. Du hast ja seit 2005, also eigentlich während deiner gesamten aktiven Karriere nebenbei Beach-Volleyball gespielt. In einem vorherigen Interview bei CarlMarie hat Mareen von Römer vom DSC uns erklärt, dass das eigentlich gar nicht zusammen passt. Du scheinst auch in diesem Bereich eine Ausnahme zu sein?
Kim Renkema: Scheint so zu sein, oder (lacht)? Nein, eigentlich hat Mareen damit recht. Als ich mit Beachvolleyball angefangen habe, war dieser Sport noch lange nicht so professionalisiert, wie wir das heute sehen. Eigentlich sind das heute zwei völlig unterschiedliche Sportarten. Im Beachvolleyball müssen die beiden Spielerinnen echte Allrounder sein und alles können, während in der Halle schon alle auf ihren Positionen Spezialistinnen sind. Eine Hallen-Volleyballerin ist heutzutage definitiv keine gute Beach-Volleyballerin und andersherum. Ich bin für eine Hallen-Volleyballerin ziemlich klein und deswegen auch eher eine Allrounderin. Aber mir hat das Hallen-Volleyball am Ende immer mehr Spaß gemacht und deshalb habe ich mich damals eben dafür entschieden.
CarlMarie: Macht es dir heute immer noch Spaß zu spielen? Sehen dich deine Spielerinnen also beim Training immer nochmal bei Zustellen oder Schmettern?
Kim Renkema: Nein. Ich habe ehrlich gesagt genug Volleyball in meinem Leben gespielt. Mit meiner Rückenverletzung kann ich sowieso nicht mehr viel springen und ich war immer auch jemand, der Lust hatte verschiedene Dinge im Leben zu machen. Ich würde mich außerdem wahnsinnig darüber ärgern nicht mehr so spielen zu können, wie ich das mal gewohnt war. Ich trainiere auch deshalb nie mit der Mannschaft, weil die Spielerinnen mich jetzt auch in meiner neuen Funktion kennen sollen. Außerdem habe ich immer Lust auf neue Erfahrungen. Ich spiele deshalb jetzt viel Tennis und vor kurzem habe ich sogar Skifahren gelernt.
CarlMarie: Kim, wir danken dir für das Gespräch.
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin