Sie hat mit frühen Kreationen nicht unerheblich am Punk-Look mitgewirkt, den New Romantic Style entwickelt und letztlich andere Fashion-Größen wie Karl Lagerfeld und Jean Paul Gaultier zu neuen Kollektionen inspiriert. Bis heute fordert sie das Establishment heraus und wird überall dort gesehen, wo für Klimaschutz eine nachhaltige Lebensweise und gegen Krieg und Unterdrückung demonstriert wird.
„Ich habe immer versucht, Menschen zu neuem Denken hin zu sich selbst zu bewegen, damit sie ihren Programmierungen und den daraus entstehenden Hemmungen entkommen können.“
Vivienne Westwood
Dass Vivienne Westwood Protest gegen das Establishment nicht nur als eine Staffage um einen hohlen Kern begreift, demonstrierte sie spätestens 1992, als sie von der Queen persönlich in den „Order of the British Empire“ aufgenommen wurde. Nachdem ein Fotograf sie gebeten hatte, sich doch einmal um die eigene Achse zu drehen, wurde offenbar, dass sie unter der transparenten Strumpfhose auf einen Schlüpfer verzichtet hatte.
Lehrerin mit ruhigem Vorstadtleben
Dabei hatte im Leben der Isabel Swire (so ihr bürgerlicher Name) lange Zeit gar nichts danach ausgesehen, dass sie mal zur Mit-Initiatorin einer ganzen Jugendbewegung avancieren sollte. Aufgewachsen unter Textilarbeitern in Derbyshire bei London hatte die junge Engländerin zwar früh damit angefangen, Kleidung herzustellen, aber ihr Leben stellte sie sich zunächst eher konservativ vor. Zwar studierte Westwood an der Harrow School of Art und der University of Westminster, belegte Kurse in Mode und Silberschmiedekunst, verließ diese jedoch nach einem Semester. „Ich wusste nicht, wie ein Mädchen aus der Arbeiterklasse wie ich ihren Lebensunterhalt in der Kunstwelt verdienen sollte“ erinnerte sie sich später. Nachdem sie eine Arbeit in einer Fabrik angenommen und anschließend eine Ausbildung zur Erzieherin absolviert hatte, wurde sie Grundschullehrerin. In dieser Zeit schuf sie ihren eigenen Schmuck, den sie an einem Stand in der Londoner Portobello Road verkaufte. Schon in dieser Phase war allerdings zu erkennen, wie eine Kindheit voller Sparmaßnahmen und Bastelei das beeinflusste, was später in den Punk-Jahren zu ihrem Markenzeichen wurde: wilde Kreationen, hastig aus herumliegenden Gegenständen wie beispielsweise Müllsäcken zusammengestellt.
Die Begegnung mit Malcolm McLaren ändert alles
Als Vivienne Westwood 1965 mit 24 Jahren die wohl entscheidenste Begegnung ihres Lebens hatte, war sie bereits seit drei Jahren mit Derek Westwood verheiratet und hatte ein zweijähriges Kind. Das Leben von Lehrerin Isabel Westwood verlief in so geordneten Bahnen, dass sie nach eigener Aussage sogar die konservative Partei Großbritanniens, die Torries, wählte. All das sollte sich mit dem Kennenlernen des drei Jahre jüngeren Malcolm McLaren grundsätzlich ändern. Der blutjunge Anarchist und Kunststudent bot Westwood mit seinen subversiven Ideen und seinem alternativen Lebensstil eine perfekte Gelegenheit und den entscheidenden Impuls, um sich von ihrem früheren Leben zu lösen und ihre außergewöhnlich erfolgreiche Karriere in der Modebranche einzuleiten. Auf die Frage, warum sie so lange in dieser für sie oftmals demütigenden und sogar gewalttätigen Beziehung mit dem Egomanen McLaren geblieben war, sagte Westwood später: „Ich mochte seine Ideen. Und die Entdeckungsreise, auf der er war, wollte ich unbedingt mitmachen.“
Do-It-Yourself!
Schon 1971 machte das Paar, das mittlerweile einen vierjährigen Sohn (Joseph Corre) hatte, seine erste Mode-Boutique in der Londoner Kings Road auf. Im „Let It Rock“ wurde zunächst Kleidung für die sogenannten Teddy-Boys verkauft, die bereits mit extra hinzugefügten Verbrennungen und provokanten Sprüchen das individuelle und unverwechselbare Markenzeichen von Westwood&McLaren erkennen ließ. Anfang bis Mitte der 1970er Jahre kombinierten Vivienne und McLaren robuste Biker-Lederjacken mit pornografischen Bildern und traditionellen Schottenmustern und praktizierten damit bereits die „Do-It-Yourself – Ästhetik“ die zu einem der wichtigsten Kennzeichen der bald aufkommenden Punk-Bewegung werden sollte. Zwar hatte Vivienne Westwood zu diesem Zeitpunkt schon einige dieser Kennzeichen in petto, doch es fehlte noch der letzte Kick.
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SEX, Destroy und die Sex Pistols
Den sollte sich Malcolm McLaren in New York holen, wo er 1974 Manager der Prä-Punk-Band New York Dolls werden und die Atmosphäre der Stadt aufsaugen würde. New York war zu diesem Zeitpunkt ein Ort, in dem nichts mehr wirklich funktionierte und sich unter den Jugendlichen Protest gegen die elitäre Mentalität von Disco-Pop und Supergruppen der 1960er wie der Beatles und der Rolling Stones artikulierte. Vor allem im wohl ersten Punk-Club der Welt, dem „Max“, wurden Grenzen des guten Geschmacks gesprengt. Gruppen wie die New York Dolls und ihr legendärer Sänger Johnny Thunders gefielen sich in nihilistischen Posen und Performer wie Richard Hell zeigten sich in selbst gestylten, zerrissenen T-Shirts mit Slogans wie „Please Kill Me“. Beschriftungen wie „Destroy“ oder auch die Darstellung von Hakenkreuzen sollten sich später auch auf den T-Shirts von Vivienne Westwood wiederfinden. Es war genau diese radikale New Yorker Ästhetik, die Malcolm McLaren zurück nach London brachte, wo er die gemeinsame Boutique ein weiteres Mal umbenannte und nun „SEX“ nannte.
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Die Kleidungsstücke, die zu großen Teilen aus der Feder von Vivienne Westwood stammten, spiegelten nun den Bondage- und Sex-Shop-Style. Mini-Plasteröcke wurden mit zerrissenen Netzstrümpfen, Schnallen und Ketten kombiniert und brachen am Ende alle traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit und Schönheit. Zusammen mit den zerzausten Strickpullovern auf denen sich nicht nur Brüste sondern zum Beispiel auch das Porträt von Karl Marx wiederfand, wurden diese Kleidungsstücke zu Symbolen einer gewaltigen popkulturellen Revolte: dem Punk. Das „SEX“ wurde dabei zum Zentrum einer Ansammlung von Hipstern, zu denen auch später bekannte Stars wie Chrissy Hynde, Adam Ant, Jerry Hall, Billy Idol, Siouxsie Sioux oder Charles Saatchi gehörten. Nicht zu vergessen natürlich Johnny Rotten, Sid Vicious und zwei weitere Freunde, die später mit den „Sex Pistols“ eine der kurzlebigsten aber einflussreichsten Bands der Rockgeschichte schufen.
„Ich hatte das Interesse verloren“
Oder war es eigentlich Malcolm McLaren, der einfach nur eine Skandal-Formation brauchte, um die Mode des „SEX“ so effektiv wie möglich zu vermarkten? Fakt ist, während die „Sex Pistols“ mit ihrem Manager Malcolm McLaren von einem Skandal zum nächste stolperten, entwarf Vivienne Westwood in ihrer Sozialwohnung in Clapham, Süd-London, die Mode der ins Rollen gekommenen Punk-Bewegung. Pumps mit Stacheln an den Fersen, kunstvoll zerrissene, weiße Shirts, die bis zu den Knien hingen und riesige Slogans trugen oder Unterwäsche als Oberbekleidung – die Auto-Didaktin entwarf und nähte unermüdlich, während ihr zwanghafter Ehemann sich in der Pose des zynischen Revoluzzers gefiel. Doch schon Anfang der 1980er begannen Vivienne Westwood der Kontrollwahn und die Eifersucht ihres Gatten ebenso zu langweilen wie die nicht in Bahnen zu lenkende Wut der „Sex Pistols“. Die „Näherin“ wie McLaren seine Frau immer wieder abwertend nannte, plante ihren Abgang und erklärte ihn Jahre später so: „Als ich mich auf den Barrikaden umdrehte, war niemand da. So fühlte es sich für mich an. Sie waren noch unterwegs, irgendein bedeutungsloser Blödsinn hatte sie aufgehalten. Also habe ich das Interesse verloren.“
Mit „Pirates“ findet Westwood ihren eigenen Style
Doch bevor es zum Bruch mit McLaren kam, schaffte es Vivienne Westwood noch, ihre erste professionelle Mode-Kollektion zu präsentieren. Statt Plastik, Sex und postapokalyptischer Zerstörungswut waren nun wallende Hosen, Rüschenhemden und Piraten-Hüte zu sehen. Und auch mit diesen Entwürfen traf Vivienne Westwood voll den Zeitgeist. Denn auf Punk und New Wave war in London die sogenannte New Romantic Bewegung in Mode gekommen und mit ihr Popperfrisuren, bizarre Gesichtsbemalungen und altertümliche Kostümierungen. Einer ihrer wichtigsten Vertreter, Adam Ant, trat noch im selben Jahr mit einem von Westwood inspiriertem Piratenlook in der Sendung „Pop of the Tops“ auf und ebnete mit seinem Auftritt Bands wie Duran Duran, Spandau Ballet oder Visage den Weg in die Coolness Top Ten dieser Zeit.
Neuer Mann, neue Schaffenskraft
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Ab 1982 ließ Westwood ihre Kollektionen „Savage“ und „Nostalgia of the Mud“ (bzw „Buffalo Girls“) in Paris, der Welthauptstadt der Mode, vorführen und war damit die erste englische Modemacherin seit Mary Quant in den 1960er Jahren. Ob Kleidung im Landhaus- und Cowboy-Stil, Buffalo-Hüte (wie sie Pharrell heute trägt) oder Korsetts – Westwood Entwürfe waren nun geprägt von exzentrisch zusammengesetzten Kombinationen aus historischer Bekleidung, seltenem Textilgewebe und farbenfrohen Webmustern. Westwoods Trennung von McLaren veranlasste sie, sich mehr und mehr von Popkultur und Streetstyle zu entfernen und sich eingehender mit Geschichte und Tradition der Mode zu befassen. Sie wollte nicht länger als Schöpferin subkultureller Kleidung gesehen werden, sondern als Designerin von High Fashion, die ernsthafte Fragen zu Kultur, Kunst und Identität aufwirft. Doch während sie auf dem europäischen Festland, in Amerika und in Japan bereits als eine der bedeutendsten britischen Designerinnen ihrer Zeit anerkannt war, blieb sie in Großbritannien lange Zeit eine Außenseiterin. Erst in den späten 1980er Jahren wurde ihre Arbeit regelmäßig in High-Fashion-Magazinen wie Vogue vorgestellt. Zum selben Zeitpunkt war Vivienne Westwood, die nie eine ordentliche Ausbildung innerhalb der Modebranche absolviert hatte, für drei Jahre Gastprofessorin an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Dort lernte sie in der von ihr betreuten Modeklasse den Studenten Andreas Kronthaler kennen und heiratete ihn 1992. Kronthaler arbeitet seitdem in Westwoods Unternehmen als Designer und die kreative Kooperation hat dazu geführt, dass seine Ehefrau in den vergangenen 15 Jahren einige ihrer einflussreichsten Arbeiten vollendet hat und von einer einstigen Außenseiterin zu einer festen Größe des internationalen Mode-Business aufgestiegen ist. Westwoods mittlerweile globales Profil wurde endgültig sichtbar, als sie 1990 und 1991 den renommierten Titel „British Designer of The Year“ erhielt und 1993 Naomi Campbell in den von ihr entworfenen Krokodils-Plateau-Stiefeln während der Pariser Fashion Week auf dem Laufsteg stürzte.
Für immer Punk
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Mittlerweile ist Vivienne Westwood 78-jährige Großmutter und doch immer noch überall zu finden, wo es Rabatz gibt. So hat sie sich immer medienwirksam für Klimaschutz, Gleichberechtigung, die Freiheit von Greenpeace-Aktivisten, die Freiheit von Bradley Manning und Julian Assange, den Schutz des Regenwaldes und vor allem für eine nachhaltige Mode eingesetzt. Ihr Lebensmotto beschreibt sie dabei so: „Was ich jetzt mache, ist immer noch Punk – es geht immer noch darum, Ungerechtigkeit an den Pranger zu stellen und dabei so sichtbar wie möglich zu werden. Man muss die Leute zum Nachdenken bringen, auch wenn das oftmals unangenehm ist. In diesem Sinne werde ich immer ein Punk sein.“
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin