Diversität in der Modeindustrie

Models auf dem Laufsteg einer Modenschau
©Pixabay/Pexels
Etwa 80 Prozent aller Models auf internationalen Laufstegen sind jung, weiß und schlank. Und das, obwohl in jüngerer Zeit auch der arabische, lateinamerikanische und asiatische Markt für die Modeindustrie immer wichtiger wird.

Lassen Sie uns sprechen über … Diversität.

Das Wort ist ein wenig sperrig, es entspricht dem englischen diversity und meint Vielfalt. In der Modewelt wird das Thema gerade debattiert wie kein zweites. Denn die Vielfalt bei der Auswahl der Models allein im letzten Jahr belief sich auf folgende Zahlen: Auf gut 200 Shows in New York, London, Mailand oder Paris liefen knapp 4000 Models. Davon waren zehn Prozent dunkelhäutig, 6,5 Prozent asiatisch, Mädchen aus Indien und dem Nahen Osten kamen auf 2,3 Prozent, Latino-Frauen auf 1,6 Prozent. Der Rest war weiß, kaukasisch, wie man hinter den Show-Bühnen sagt. Also knapp 80 Prozent der Models.  Und er war idealtypisch für die großen Präsentationen der vergangenen Jahrzehnte. Frauen mit Sanduhrfiguren, schulterlangem Haar, an die 1,80 Meter groß, mit Konfektionsgröße 32. Also weit von dem Typ Frau entfernt, der die Haute Couture eigentlich tragen soll.

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Jung, weiß und schlank – weit entfernt von dem Typ Frau, der die Haute Couture kaufen und tragen soll. ©Pixabay/3112014

Diese Diskrepanz füllt den Raum zwischen der Vorstellung vieler Designer, wie ihre Models zu sein haben. Und der Wirklichkeit unterhalb des Laufstegs, in der nur die wenigsten Frauen die vorgestellten Kleidungsstücke tragen könnten. Sie würde nämlich nicht hineinpassen. Nicht von ungefähr fühlen sich deshalb immer weniger Frauen repräsentiert.  Kaukasisch mit Kleidergrößen nah am Rand zur Magersucht – wer ist das schon?!

Aber es reg sich etwas in der Modewelt. Nimmt man die letzten Monate als Beleg, dann erwacht gerade ein neues Bewusstsein in der Fashion-Industrie für die Mannigfaltigkeit ihrer Kundinnen. Wir zeigen im Folgenden, auf was es ankommt, wenn man teilhaben möchte an der Diskussion über Mode und Models, Hautfarbe, Haartyp, Körperform, Alter oder Identität.

Was ist das, Diversität?

Der Begriff kommt eigentlich aus der Soziologie. Jede Person unterscheidet sich von einer anderen, hauptsächlich durch Kultur (Ethnie), Alter, Geschlecht, Religion (Weltanschauung), sexuelle Orientierung, Hautfarbe oder Behinderung. Das gleiche gilt auch für verschiedene Gruppen, Nationalitäten zum Beispiel oder religiöse Gemeinschaften. Diese Vielfalt wird mit Diversität bezeichnet.

In der Modewelt kursiert der Begriff als Schlagwort für die Kritik an dem überwiegenden Einsatz hellhäutiger Models. Einerseits. Und andererseits für die Forderung nach mehr Vielfalt auf dem Laufsteg, um die Vielfalt der Welt darum, also letztendlich die der KundInnen besser repräsentieren zu können.

Wo liegt das Problem?

80 Prozent weiße Models, das war das Ergebnis einer Untersuchung (The Fashion Spot) des Onlineportals Business of Fashion (BoF) der großen Fashionshows in den Modezentren New York, Mailand, London und Paris im vergangenen Jahr. Frühjahr 2017 nach den Schauen für die Herbst/Winter-Kollektionen hat sich das Bild gewandelt. BoF vermeldete Zahlen, die belegen, dass die Vielfalt auf den Catwalks zunimmt. The Fashion Spot schaute sich 241 Shows an und registrierte 7035 Models. Davon waren 31,5 Prozent verschieden, also „anders“ als das kaukasische Standardmodel. Also nicht-weiß.

Das ist Rekord. Gilt aber nur für den ethnischen Aspekt der Hautfarbe. Bei anderen Kennzeichen wie Körperform (Plus Size), Alter (über 50) oder Identität (Transgender) sind die Zahlen immer noch verschwindend gering, obwohl zum Beispiel ein Großteil europäischer Frauen keine 32 trägt, sondern durchschnittlich eine 42 bis 44. So lag der Anteil der Übergrößen-Models bei 0,43 Prozent, der von Frauen über 50 bei 0,29 Prozent und der von Transgender-Mannequins bei 0,17 Prozent. Die Shows in New York zeigten dabei die größte Vielfalt, die in Mailand die geringste.

„Ich will nicht sagen, dass 31 Prozent nicht-weiße Models ausreichend sind“, sagte nach der Studie Jennifer Davidson, die Chefredakteurin von The Fashion Spot, „aber es ist eine deutliche Verbesserung.“ Allemal, wenn man bedenkt, dass beispielsweise im Jahr 2014 auf 611 Titelseiten der 44 größten Modemagazinen der Welt nur 18 Prozent nicht-weiße Frauen gezeigt wurden.

Warum immer nur weiß und dünn?

Rassismus ist es nicht, warum die großen Modehäuser, Modeverlage und Modedesigner mehrheitlich auf weiße Modeltypen setzen. Es hat vielmehr etwas mit Gewohnheiten und den Orten zu tun, an denen die neuen Kollektionen mehrheitlich entworfen werden. Haute Couture war viele Jahrzehnte lang eine ausschließlich europäische und nordamerikanische Angelegenheit, was die Kreation von Mode anbetraf – und ihren Verkauf. Erst in jüngerer Zeit sind neue Märkte wie der arabische, der lateinamerikanische oder asiatische hinzugekommen.

Die Laufsteggröße von 34 bis 32 aber erklärt das weniger. Die Magermodel-Figur hat sich entwickelt, weil jedes Gramm zuviel die Pass- und Schnittformen verändern würde. Ein Kleid, das nicht bis auf den unscheinbarsten Millimeter perfekt passt– Gott bewahre! Für viele Designer sind Entwürfe Kunstwerke und keine Gebrauchsgegenstände.

Fünf Aspekte für mehr Vielfalt in der Mode-Industrie

1. Körperform

Das vielleicht größte Problem, weniger die Idealvorstellungen im Kopf umzusetzen, sondern die Entwürfe der Realität auf der Straße anzupassen, haben die Designer seit jeher mit der Körperform. Das Durchschnittsmodel ist deshalb zwischen 1,75 Meter und 1,85 Meter groß, trägt 34 bis 32 und hat glattes Haar, das eine Handbreit unter der Schulter endet. Dafür in Frage kommt in der Mehrzahl allerdings nur der europäisch-kaukasische Modeltyp.

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Der europäisch-kaukasische Modeltyp: zwischen 1,75 Meter und 1,85 Meter groß, Kleidergröße 32 und glattes Haar. ©Pixabay/3112014

Dunkelhäutige Models haben meist krauses Haar, Asiatinnen sind mit einer Durchschnittsgröße von 1,66 Meter zu klein und Frauen aus Lateinamerika meist kurviger, an den Oberschenkeln und am Po vor allem.

Eine 32 zu haben, bedeutet für viele Models aber, sich am Rand der Magersucht zu bewegen. Das etwa hat im Modeland Frankreich dazu geführt, dass Laufstegfrauen mittlerweile eine Bescheinigung vom Arzt brauchen, der ihnen attestiert, dass ihre Figur kein Gesundheitsrisiko ist. Und das aller drei Monate. Auch in Spanien und Israel gibt es solche Vorgaben. In Deutschland nicht.

Doch selbst eine halbwegs natürliche Figur hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun. Der Missmut darüber, vor allem in den sozialen Netzwerken, hat zuletzt derart zugenommen, dass viele Modehäuser mittlerweile auch Plus Size Models auf die Catwalks schicken. Etwa Ashley Graham. Die Amerikanerin ist das Topmodel unter den kurvigen Mannequins und gilt als Vorreiterin in Sachen Normal- und Übergewicht in der Fashion-Industrie. Zuletzt hat sie in New York ihre erste eigene Lingerie-Kollektion vorgestellt und lief auf der Show von Michael Kors. 30 Plus-Size-Models präsentierten im Frühjahr 2017 Haute Couture auf den großen Shows, ein Jahr zuvor waren es 16 gewesen, davor sechs.

2. Hautfarbe

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Dunkelhäutige Models sind noch immer nicht selbstverständlich auf internationalen Laufstegen. ©Pixabay/jxffsmxth

Dunkelhäutige Models gibt es. Und das nicht erst seit den 2000er-Jahren. 1946 wurde das Lifestyle Magazin Ebony gegründet, 1958 startete die Ebony Fashion Fair, 1966 erschien mit Donyale Luna erstmals ein dunkelhäutiges Model auf dem Cover der britischen Ausgabe der Vogue, ihr folgten auf die VIP-Seiten der Mode-Zeitschriften und Laufstege Iman, Grace Jones und Pat Cleveland. Beverly Johnson wurde die erste schwarze Frau auf einer Titelseite der amerikanischen Vogue, sie ebnete den Weg für Supermodels wie Veronica Webb und Naomi Campbell gefolgt von Superstars wie Joan Smalls, Jourdan Dunn und Chanel Iman.

Yves St. Laurent schickte 1962 erstmals ein schwarzes Model auf den Catwalk, Paco Rabanne zog zwei Jahre später nach. Firmen wie Benetton werben schon seit langem mit Models aller Coleur. Dennoch, der Vergleich ist das Problem. Noch immer sind dunkelhäutige Frauen bei den großen Shows in der Minderheit. Ein Model, dass die Ungleichheit unlängst publikumswirksam kritisierte, war Deddeh Howard, die von vielen Agenturen eine Absage mit der Begründung bekam, man habe schon ein (!)schwarzes Model im Portfolio. Die Medizinstudentin wollte das nicht auf sich beruhen lassen. Und stellte zusammen mit ihrem Freund, dem Fotografen Raffael Dickreuter, Werbekampagnen bekannter Marken nach. Dem Projekt wurde weltweit applaudiert.

3. Handicap

Inklusion ist einer der Starbegriffe der modernen Pädagogik. Damit ist die Integration von geistig wie körperlich behinderten Kindern in das allgemeine Kindergarten- und Schulsystem gemeint. In der Mode gibt es das jetzt auch. Mehr als guter Wille ist es zwar noch nicht, aber immerhin – Madeline Stuart oder Jillian Mercado sind mittlerweile Models und weltweit Botschafter für eine Normalisierung des Model-Business. Stuart lebt mit Trisomie 21, dem Down Syndrom, Mercado sitzt wegen einer Muskeldystrophie im Rollstuhl.

2015 stand die Australierin Stuart erstmals auf einem Laufsteg, Frühjahr 2017 präsentierte sie 20-jährig in New York ihre erste Kollektion. Der Name „21 Reasons Why“ (21 Gründe Warum) spielt auf ihre Chromosomenstörung an.

Mercado, die seit ihrer Kindheit an einer Muskelstörung leidet, ist das erste Topmodel in einem Rollstuhl. 2014 zeigte sie sich erstmals auf einer Show für Diesel. Der frühere künstlerischer Chef des Jeans-Labels, Nicola Formichetti, hatte sie höchstselbst ausgewählt. Danach wurde sie von IMG Models (u.a. Gisele Bündchen) unter Vertrag genommen. Seither heuerte sie u.a. Sängerin Beyoncé für die Promotion ihre Formation-Tour (2016) an, Mercado erschien zudem auf den Titelseiten von Glamour, Cosmopolitan und Posture sowie Galore Magazine.

Weitere Models, die mit einem Handicap das Schönheitsideal vergangener Jahre konterkarieren, sind u.a. Schauspielerin Jamie Brewer, die ebenfalls Trisomie 21 hat. RJ Mitte, den eine Zerebralparese beim Sprechen behindert, er spielte in der Serie Breaking Bad mit und lief zuletzt u.a. für Gap und Vivienne Westwood. Oder der Deutsche Mario Gallo, ihm fehlt ein Teil seines Oberschenkels. Er modelte u.a. auf der Berliner Fashion Week für Designer Michael Michalsky.

4. Anders und außergewöhnlich

Seit das Thema Vielfalt die Mode-Industrie erfasst hat, scheinen mehr Grenzen zu fallen, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Unbestritten werden viele außergewöhnliche Models gebucht, weil sich mit ihnen außergewöhnliche Aufmerksamkeit generieren lässt. Viele Designer aber meinen es ernst mit Diversity. Und buchen aus Überzeugung Frauen wie die bildhübsche Chantelle Brown Young. Die Kanadierin wurde mit der Hautstörung Vitiligo geboren. Sie ist dunkelhäutig, viele Stellen aber ihrer Haut sind weiß. Vitiligo ist eine Pigmentstörung. Als Kind wurde sie als Kuh oder Zebra verspottet, heute ist sie Topmodel und war u.a Teil der Werbekampagne von Diesel und das Markengesicht des spanischen Labels Desigual.

Shaun Ross wiederum ist Albino, eigentlich Afroamerikaner, aber hellhäutig. Entdeckt wurde er von der Designerin Nina Athanasiou, heute modelt er u.a. für Givenchy sowie Alexander McQueen und trat in Musikvideos von Beyoncé und Lana Del Rey auf. Was früher sein Makel war, ist heute sein Markenzeichen. Das gilt auch für seine Landsfrau Diandra Forrest, auch sie Albino, 1,90 Meter groß und hellhäutig. Sie lief u.a. bereits für Marc Jacobs und Yves Saint Laurent.

Zu Gruppe der außergewöhnlichen Models gehört ebenfalls Andreja Pejic, eigentlich Andrej Pejic. Der in Bosnien geborene Australier ist ein Transgender. Er ist vor allem für sein androgynes Aussehen bekannt und präsentierte 2011 auf der Pariser Fashion Week für Gaultier sowohl Damen- als auch Herrenmode. Auch für Michalsky bei der Stylenite 2011 lief er für beide Geschlechter. Im selben Jahr wurde Pejic auf Rang 16 der 50 einflussreichsten männlichen Models gewählt und tauchte gleichzeitig in der Liste der 100 erotischsten Frauenmodels auf (Rang 98). 2014 wandelte Pejic mit einer Operation ihr Geschlecht und änderte den Vornamen in Andreja.

5. Alter

Eigentlich geht es im Model-Business mit 18 los – und es geht selten länger als bis 30. So jedenfalls ist es immer noch Standard. Aber auch in Alterfragen löst sich die Branche von Vorstellungen, die mittlerweile altbacken wirken bei all der Vielfalt um sie herum. So befragte der Online-Händler JD Williams 2015 seine Kundinnen nach Alter und Vorstellungen. Das Ergebnis war ein Paukenschlag für die Retailer: 58 Prozent der ca. zwölf Millionen britischen Frauen über 50 gaben an, sie fänden sich und ihre Wünsche nicht mal ansatzweise in der Modewelt repräsentiert.
Die Folge war eine 25-minütige Show im Cafe Royal als Opener der Londoner Fashion Week 2016. Die von JD Williams organisierte Präsentation, auf der Entwürfe von Studenten des Londoner College of Fashion gezeigt wurden, eröffnete 50-Plus-Topmodel Marie Helvin, sie ist 63. Letzte Läuferin war Daphne Selfe. Sie ist 87 und das älteste Model weltweit. Helvin sagte anschließend: „Frauen über 50 wollen sich genauso besonders kleiden wie junge Frauen. Es ist an der Zeit, dass die Modewelt darauf Rücksicht nimmt, dass die Wirklichkeit vielfältiger ist, als viele Designer und Labels uns auf ihren Shows vorführen wollen.“

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