Begibt man sich auf die Suche nach der genauen Definition des Mode-Begriffs „Polyamorie“, stößt man auf zahlreiche Erklärungsmodelle. Fakt ist: Während offene Beziehung und Polyamorie ähnliche Beziehungseigenschaften haben, weisen sie auch erhebliche Unterschiede auf. Dabei ist eine offene Beziehung ein Verhältnis eines Primär-Paares, welches den Intimraum für weitere Sexual-Partner öffnet. Bei einer Polyamorie gibt es das Kern-Paar von Anfang an gar nicht. Vielmehr beginnen mehr als zwei Teilnehmer mehrere Bindungen sexueller oder emotionaler Natur, die am Ende zu langfristigen Beziehungen führen können.
Dabei stellt sich bezüglich der Abgrenzung dieser beiden Konzepte eine entscheidende Frage: Suchst du mehr Sex oder mehr Liebe?
Offene Beziehungen beginnen in der Regel mit dem Wunsch eines oder beider Partner, sich neue Beziehungshorizonte und sexuelle Befriedigung außerhalb ihrer Beziehung zu suchen, ohne dabei gleichzeitig auf die emotionale Bindung und den sexuellen Austausch mit ihrem eigentlichen Partner verzichten zu müssen. Diese Männer und Frauen suchen nach neuen Erfahrungen und der Befriedigung von Bedürfnissen, die sie in ihrer Partnerschaft nicht erfüllen können.
Der Begriff „Polyamorie“ wurde 1990 erfunden und schon zwei Jahre später weltweit in Foren diskutiert. Unter dem Oberbegriff werden einvernehmliche und auf voller informativer Offenheit basierende langfristige, intime Beziehungen mehrerer Personen zusammengefasst. Dabei wird die Polyamorie von vier entscheidenden Kriterien eingegrenzt:
- heißt Polyamorie vollumfängliche Ehrlichkeit und Transparenz. Damit ist es das Gegenteil von „Betrügen“.
- geht es dabei vorrangig um Konsensfindung zwischen unterschiedlichen Geschlechtern und sexuellen Orientierungen und ist deshalb das Gegenteil einer eher patriarchalischen Vielehe.
- ist damit auch das langfristige erotische Verhältnis mit mehr als einer Person über einen längeren Zeitraum hinweg gemeint. Hier geht es also sowohl um die Ablehnung der Monogamie als auch um einen weiteren Begriff als lediglich Freundschaft.
- geht es bei aller Offenheit und Vielheit der Beziehungen um eine langfristige Perspektive der einzelnen Partnerschaften. Damit ist dann auch eine klare Abgrenzung zum reinen „Swingen“ gegeben.
In der Polyamorie geht es ganz grob gesagt darum, sich in viele Menschen zu verlieben und dabei bezüglich der einzelnen Partnerschaften auf jegliche hierarchische Einordnung im Sinne von „du bist mir lieber als der andere“ zu verzichten.
Menschen, die sich als „Poly“ verstehen, glauben vor allem daran, dass es möglich ist, mehrere Menschen mit der gleichen oder zumindest einer sehr ähnlichen Intensität zu lieben. Der Schwerpunkt liegt hier also mehr auf dem Begriff der „Liebe“. Offene Beziehungen hingegen neigen eher dazu, sich auf den möglichen Sex außerhalb der Haupt-Beziehung zu konzentrieren. Hier lautet die Priorität also vor allem „Sex“. Es ist deshalb legitim zu behaupten, dass es in den zusätzlichen Beziehungen innerhalb eines polyamourösen Beziehungskonstruktes eher um die Gleichberechtigung aller Partner geht, während in einer offenen Beziehung zusätzliche Teilnehmer zur Kern-Partnerschaft als untergeordnete Ergänzungen gesehen werden.
Polyamorie – ein weites Feld
Hinsichtlich polyamouröser Beziehungen gibt es ein breites Spektrum an möglichen Partnerschafts-Konstrukten. So können zum Beispiel einige Partner festlegen, welche zusätzlichen Partner aus einer überschaubaren Gruppe von Kandidaten erlaubt sind und welche nicht. Ganz radikale Modelle lehnen die Begriffe „Partner“ oder „Partnerin“ ganz ab und unterscheiden auch nicht zwischen „in einer Beziehung“ oder „nicht in einer Beziehung“. Allerdings wird es dann tatsächlich schwierig, überhaupt noch von einem Partnerschafts-Modell zu sprechen. Am anderen Ende des Spektrums bezeichnen sich auch einige Männer und Frauen als polyamourös, ohne in ihrem Leben auch nur einmal in die Gelegenheit zu geraten, das real zu praktizieren.
Polyamorie – zeitaufwändig und überall lauert die Eifersucht
Wenn Frauen oder Männer von einer polyamourösen Beziehung berichten, fällt auf, dass immer wieder ein Defizit genannt wird: Eine solche Partnerschaft ist deutlich zeitaufwändiger und deshalb auch stressiger, als jedes andere Beziehungsmodell. Immerhin müssen nicht nur Dates und Treffen mit vielen Partnern koordiniert werden, sondern die anderen haben auch immer das Recht, darüber informiert zu werden. Und dann ist da natürlich noch die Sache mit der Eifersucht. Wer einmal davon befallen ist, bekommt sie kaum wieder los. Das kann auf die Dauer nerven und zu Konflikten führen.
Was tun mit der Verlustangst?
Schon lange wird in der westlichen Kultur darüber gestritten, ob Eifersucht durch kulturelle Prägung entsteht oder doch eine uns angeborene Charaktereigenschaft ist. Egal wie man es sieht, es gibt in jedem Fall die Möglichkeit, mit diesen Gedanken und Gefühlen offen – auch gegenüber dem Partner – umzugehen und sie damit zu überwinden. Denn einer der Vorteile der polamourösen Beziehungen besteht ja gerade darin, dass man den Partner eben nicht verliert. Dabei ist es wichtig, dass Eifersucht und Verlustangst nicht als persönliche Defizite empfunden werden, sondern dass man die Fähigkeit erlernt, sie zu spüren ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen. Viele an polyamourösen Beziehungen interessierte Männer und Frauen fragen sich immer wieder: „Ich sollte doch eigentlich frei sein von diesen Gefühlen?“ Die Antwort lautet „Nein, müssen Sie nicht“.
Wie lerne ich andere polyamourös lebende Männer und Frauen kennen?
Mittlerweile gibt es in mehreren deutschen Städten Polyamorie-Events und entsprechende Treffen. Für die etwas scheueren und diskreteren „Polys“ existieren darüber hinaus zahlreiche Gruppen in den sozialen Netzwerken sowie Online-Foren, -Blogs und -Webseiten. Wer sich auf solch eine Beziehung intensiv vorbereiten möchte, dem sind auch einige Bücher wärmstens ans Herz gelegt. Dazu gehören zum Beispiel „Polyamorie – Herzen zwischen Erfolg und Hoffnung. Biographische Analysen nicht-monogamer Beziehungen“ von Sina Muscarina und auch „Praktiken der Polyamorie. Über offene Beziehungen, intime Netzwerke und den Wandel emotionaler Stile.“ von Karoline Boehm.
Im ersten Teil unseres Beitrags geht es um den Mythos Offene Beziehung und wie sie funktionieren kann.
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin