Von der Veranda, über den Rücksitz bis zum Internet – So hat sich das Dating in den vergangenen 100 Jahren verändert
Das sogenannte „Dating“ zwischen den Geschlechtern ist ein verhältnismäßig junges Phänomen. Erst im 19. Jahrhundert hatte die Beziehung zwischen Mann und Frau tatsächlich etwas mit Liebe und gegenseitiger Anziehung zu tun. Vorher wurde von jungen Erwachsenen mehr oder weniger streng erwartet, dass der jeweilige Partner für die eigene Familie zum Vorteil und hauptsächlich zum Kinderkriegen gewählt wird. Das entsprechende Werben musste ohne Berührungen oder sexuelle Hintergedanken vonstatten gehen. Frauen trafen sich mit mehreren Männern und ihren anwesenden Eltern, um die Auswahl auf den am besten geeigneten Partner für die Ehe zu reduzieren. Wenn eine junge Frau sich für einen Mann entschied, fanden ihre Aktivitäten als Paar entweder im Haushalt oder bei gesellschaftlichen Zusammenkünften statt. Natürlich war nicht alles absolut keusch, vorehelicher Sex geschah und Liebe war nicht völlig irrelevant. Aber genau diese „Phänomene“ wurden absichtlich unterdrückt.
Das Konzept des „Datings“ begann um die Jahrhundertwende, als sich erstmals Paare unbeaufsichtigt trafen, um miteinander auszugehen. Dennoch war das offensichtliche Ziel zu dieser Zeit immer noch die Eheschließung. Dies steht in krassem Gegensatz zur heutigen Dating-Welt, in der das Thema Ehe auch bei längeren Beziehungen möglicherweise nie zur Sprache gebracht wird.
Dating in den 1920er und 1930er Jahren – Treffen beim Tanz und im Kino
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Der grundlegende Unterschied zwischen dem beaufsichtigten Heirats-Werben und dem „Dating“ ist der der Freiheit. Während die traditionelle Werbung ihre eigenen Regeln und Rituale hatte, wurde das Dating im Laufe der Entwicklung immer weniger stark strukturiert. In den 1920er Jahren wurden Institutionen wie Schulen, Hochschulen und mehr oder weniger freie Arbeitsstätten immer wichtiger und gaben jungen Männern und Frauen die Möglichkeit, sich häufig und ohne die ständige Beaufsichtigung durch Erwachsene zu treffen. Auch Tanzveranstaltungen und das Kino spielten nun eine entscheidende Rolle. Eine junge Frau, die in den 1920er Jahren vom amerikanischen Time-Magazin interviewt worden war, sagte zum Beispiel: „Der wichtigste Vorteil, den ich aus meinen Kinobesuchen gelernt habe, war etwas über Sex und die Bekanntschaft mit Männern gelernt zu haben“. Dies hatte zur Folge, dass der Zweck des Datings in erster Linie darin bestand, Spaß zu haben und nicht vorrangig einen Ehepartner zu finden. Mit den ersten „Datings“ steigerte sich auch der Wunsch nach Romantik, und Liebe und wurde zur eigentlichen Triebfeder im Zusammenspiel zwischen jungen Männern und Frauen.
Dating in den 1940er und 1950er Jahren – Teil der Jugendkultur
Während des Zweiten Weltkriegs wurde es für junge Paare ein schwieriges Unterfangen, einen Partner für ein erstes Date zu finden. Die meisten jungen Männer waren Soldaten und so wurde es zu einer Notwendigkeit, sich schnell Versprechen abzuringen, um die Beziehung nach der Rückkehr von der Front fortsetzen zu können. Diese Art von Verlobungen wurden mit Geschenken wie Ringen oder Kleidungsstücken besiegelt, die so nur einmal vergeben werden konnten. In den Nachkriegsjahren war das Missverhältnis von jungen heiratswilligen Frauen und Männern so groß, dass nun das erste Mal Dating-Agenturen eine Hochzeit erlebten, die junge Frauen und Soldaten – vor allem in Kriegsgefangenschaft – zusammenbrachten. Der erste Kontakt kam dabei über Briefe zustande. In denen wurden ernste Verabredungen über Eheschließungen verabredet, die dann nach Rückkehr der jungen Männer in die Heimat schnell in die Tat umgesetzt wurden.
In den 1950er Jahren erlebten die Rendezvous zwischen Männern und Frauen dann eine erste wirkliche Liberalisierung, was in den westlichen Ländern zu einem enormen Bevölkerungswachstum und dem Entstehen der „Babyboomer-Generation“ führte. Die ersten Verabredungen gab es oft, nachdem ein Junge das Mädchen seiner Wahl anrief oder ihr einen Brief schrieb. Das erste Date fand dann an einem öffentlichen Ort, einem Cafe oder einer Tanzveranstaltung statt. Dort wurde viel geredet, um sich kennenzulernen. Begriffe wie „Küssen“ oder „Streicheln“ wurden nun erstmals zu festen Bestandteilen des Zusammentreffens. Das „Dating“ wurde jetzt eher mit den Anforderungen der Jugendkultur als mit Erwartungen an eine Familiengründung verknüpft. Funktionierte der Flirt nicht, traf man sich schnell mit dem oder der nächsten KanidatIn. Sex spielte eine vorrangige Rolle und weil die Anti-Babypille noch nicht erfunden war, kamen nun auch zahlreiche eher nicht gewollte Kinder zur Welt.
Dating in den 1960er und 1970er Jahren – freie Liebe
1962 veröffentlichte die amerikanische Autorin Helen Gurley Brown im Cosmopolitan Magazine einen Text mit dem Titel „Sex and the Single Girl“ und manifestierte darin den Grundgedanken ihrer Generation: „Eine Affäre kann von einer Nacht bis für immer dauern“. Der Zugang zur Pille, die legale Abtreibung und der Aufstieg des Feminismus machten das Experimentieren zwischen Männern und Frauen zu einem wichtigen Teil des Kennenlernprozesses. Die noch züchtigen ersten Rendezvous auf Rummelplätzen oder Tanzsälen gehörten nun endgültig der Vergangenheit an. Sex vor der Ehe war kein Tabu mehr. Junge Männer und Frauen lobten beiderseits die Vorzüge der „freien Liebe“. Slogans wie „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“ machten die Runde. Für das „Dating“ gab es keinerlei Regeln mehr und im Namen der Freiheit gab es eine regelrechte Explosion sexueller Aktivitäten.
Dating in den 1980er und 1990er Jahren – gibt es überhaupt noch ein Date?
Diese beiden Jahrzehnte standen stark im Zeichen zahlreicher, parallel verlaufender Jugendkulturen wie Punk, Hip Hop, Heavy Metal oder Techno. Innerhalb dieser Szenen gab es kaum noch so etwas, was sich im klassischen Sinne als „Date“ bezeichnen lässt. Junge Frauen und Männer fanden sich nun zu mehr oder weniger festen Cliquen zusammen. Innerhalb dieser Gruppen wurden oftmals auch die Partner gewählt. Insgesamt ging es, so drückte es die New York Times in einer Analyse aus, weniger darum, dass sich Männer und Frauen zu einem Date trafen, sondern viel mehr darum, „Anschluss“ an eine größere Gruppe zu finden. Bei all dem „Herumhängen“ und „Zusammensein“ herrschte Unklarheit darüber, was überhaupt ein wirkliches Rendezvous ist. Der Begriff „Freunde mit gewissen Vorzügen“ wurde in diesen Jahrzehnten geprägt.
Dating ab den 2000er Jahren – Das erste Date, vor dem ersten Treffen
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Das Dating der vergangenen 20 Jahre ist in erster Linie von den Möglichkeiten des Internets, dem Aufkommen von Dating- und Social Media Websites und der extremen Verbreitung von Mobiltelefonen geprägt. Die Zurückhaltung, das Scherzen, der Flirt und das wirkliche Kennenlernen findet heute vor allem auf den Bildschirmen unserer Computer, Tablets und Smartphones statt. Fast die Hälfte aller 25- bis 35-Jährigen nutzen heute Dating-Websites oder -Apps. Vor dem „ersten Date“ haben wir heute – durch freiwillige Information oder geschicktes Stalking – bereits soviel über die andere Person erfahren, dass das erste persönliche Gespräch äußerst beiläufig ist oder bereits eine unwirkliche Vertrautheit in der Luft liegt. Angesichts der suggerierten Wahl, sich zwischen Hunderten von Kandidaten oder Kandidatinnen entscheiden zu können, ist der Versuch, beim „ersten Date“ alles richtig zu machen, meist nicht den Stress wert. Denkt man an das Konzept der Selfies, dann geht es jungen Männern und Frauen heute offenbar zunehmend um die Darstellung des Selbst, als darum, sich auf die Bedürfnisse eines Partners einzulassen. Mittlerweile beklagen sich die sogenannten „Millennials“ zunehmend selbst darüber, dass ein richtiges und erstgemeintes „Date“ immer schwieriger wird, wo es die moderne Technologie doch eigentlich einfacher machen sollte?
War das Dating früher besser?
Bekanntermaßen stimmt der Satz „Früher war alles besser“ nie. Heutzutage haben wir ungleich mehr Freiheit zu entscheiden, wie wir unser Leben leben wollen. Das betrifft natürlich auch die Wahl unserer Partner. Doch genau das macht das Dating im Jahr 2019 so schwierig: Was will die andere Person? Sucht sie etwas Ernsthaftes oder versucht sie nur, den maximalen Spaß zu haben? Gibt es überhaupt irgendwelche Gedankenspiele für die Zukunft? Die heutige Dating-Welt ist sicherlich ein Labyrinth, in dem MANN und FRAU verloren gehen können. Aber heißt das auch, dass es romantische Liebe nicht mehr gibt? Den richtigen Weg dahin muss heute jeder selbst finden.
In einem weiteren Magazinbeitrag haben wir uns damit beschäftigt, wie das Dating in anderen Ländern und Regionen abläuft.
Inhaltsverzeichnis
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin