Im Jahr 2013 postete die Australierin Taryn Brumfitt zwei Bilder von sich. Eines von einem Fitnessstudio-Wettbewerb vor der Geburt ihres dritten Kindes. Und eines danach, dass die dreifache Mutter ebenso glücklich, aber weit von der Bodybuilding-Silhouette entfernt zeigt. Beide wurden ein mediales Ereignis und über 100 Millionen Mal geklickt, so dass sich Brumfitt entschied, einen Dokumentarfilm über das Thema zu drehen, das sie mit der Umkehr der klassischen Vorher-Nachher-Posen berühmter Jungmütter nämlich berühren wollte: den Umgang mit der Veränderung des eigenen Körpers. Sie gab ihm den Titel „Embrace“, zu deutsch: Umarmung.
Die Dokumentation lief in Deutschland einmalig am 11. Mai mit Unterstützung der Co-Produzentin und Schauspielerin Nora Tschirner in 150 Kinos landesweit. Auch der Film war ein Erfolg. Zeitschriften, Tageszeitungen, Magazine, TV-Stationen – alle berichteten von Brumfitts Film über Frauenkörper, Scham, Selbstbewusstsein, Idealvorstellungen und Wirklichkeit. Sogar jene Magazin, die normalerweise die Bilder schlanker, durchtrainierter Frauenkörper ins kollektive Bewusstsein zeichnen, huldigten Doku und Thema.
Es hat sich nach Ansicht von Brumfitt nämlich zu einem Problem epidemischen Ausmaßes entwickelt, dass den meisten Frauen der Gegenwart beim täglichen Kontakt mit Laufsteg-Models und Werbe-Körpern die Liebe zu ihrem eigenen abhanden gekommen ist. Im Film interviewt die Fotografin zu Beginn eine Menge Frauen auf der Straße und befragt sie nach einem Wort, mit dem sie ihren Körper beschreiben würden. Die Antworten reichen von wabbelig über pummelig bis zu ekelhaft. Brumfitt ist entsetzt und begibt sich auf eine Reise zu Frauen weltweit, um etwas über ihr Verhältnis zum eigenen Körper, zu Scham und mangelnder Leib-Liebe zu erfahren.
Das Ergebnis ist so erschütternd wie es Mut macht. Es geht nämlich auch ohne Sanduhr-Linien, Schönheits-OPs, strenge Diäten, Selbsthass und Tränen vorm Spiegel. Brumfitt hatte es schon unter ihre zwei Fotos geschrieben: „Liebe deinen Körper, es ist der einzige, den du hast!“
Dafür freilich musste sie erst einmal selbst lernen, damit zu leben, dass ihr Körper nicht perfekt ist. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes begann sie unter den Veränderungen zu leiden. „Ich habe meinen Körper gehasst“, berichtet sie von ihrer Gemütsverfassung, bevor sie entschied, sich mit Hilfe eines Personal Trainers auf Teenagermaße zurückzutrainieren. Und dann stand sie da auf der Bühne eines Fitnessstudio-Wettbewerbs und fragte sich: „Bist du jetzt glücklich?“ Und antworte sich: „Nein, eigentlich nicht.“
Auch die meisten Frauen neben ihr auf der Bühne und dahinter seien es nicht gewesen, erzählt Brumfitt im Film. Also entschied sie sich, der Natur ihren Lauf zu lassen. Gut essen, „weil ich Essen liebe“, Sport machen, Mann und Kinder lieben. Und vor allem: sich selbst. So wie sie ist. „Denn was ist die Botschaft an meine Kinder“, fragt sich Brumfitt, „wenn ich ihnen vorlebe, dass ich permanent unzufrieden bin mit dem, was ich bin.“
Um diese Erkenntnis mit Leben zu füllen, dafür reist Brumfitt um die Welt. Trifft eine stark magersüchtige Frau, die unter Tränen in die Kamera sagt: „Hört nicht auf zu essen, es ist so schwer, da wieder herauszufinden.“ Sie begegnet einem Plus-Size-Model mit ganz natürlichen Körperformen, die erzählt, wie Models hinter der Bühne Wattebäusche essen, um keinen Hunger mehr zu spüren. Sie trifft eine Moderatorin, die ihr berichtet, was es sie gekostet hat, dünn zu sein. „Es war die schlimmste Zeit meines Lebens.“ Sie lässt sich von einem Schönheitschirurgen untersuchen, der sagt, „da müssen wir was tun“ und ihr u. a. empfiehlt, Fett aus dem Bauch in die Lippe zu spritzen, weil die eine etwas schmaler sei als die andere. Und sie trifft auch Nora Tschirner, mit der sie über Köperscham und Scheiß-Drauf! spricht.
Das ist der Film nämlich auch. Er ist nicht nur eine Elendsbeschreibung und berichtet vom beklagenswerten Zustand einer Kultur, in der sich Frauen einerseits täglich die Botschaft vermitteln lassen, wie sie zu sein haben, um als schön zu gelten. Und die andererseits täglich feststellen müssen, dass ihre Körper das nicht hergeben. Sondern er tröstet. Embrace – das nämlich ist der Ausweg aus Körperscham und Selbstverachtung: Umarmung. Liebe dich, so wie du bist! „Ich habe ein Foto von meinem Körper nach der Geburt gemacht und ‚Schön‘ darüber geschrieben“, erzählt im Film eine Fotografin. „Revolutionär, oder?“
Embrace – Dokumentation von Taryn Brumfitt, Australien, 2017, 86 Minuten.
Der Film läuft noch in ausgewählten Programmkinos und ist mittlerweile auch als DVD erhältlich.
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin