Die einen wettern: „Die haben ja gar nichts für ihre hohe Rente getan“. „Mit dem niedrigen Gehalt wird es im Alter für mich mal schwer“, sagen die anderen. „Wir haben ja auch viel höhere Ausgaben, klar, dass unsere Gehälter höher sein müssen“, verteidigt sich der eine. „Ich mache die gleiche Arbeit, aber für viel weniger Geld“, stellt der andere empört fest.
Solche und andere Sätze hörte man in den vergangenen 30 Jahren immer wieder in der Debatte um Lohn- und Rentenangleichung zwischen Ost und West. Aber ist das wirklich noch so? Diesen Fragen wollen wir von CarlMarie heute in unserer Serie „30 Jahre Deutsche Einheit“ nachgehen.
Gleiche Arbeit – gleicher Lohn
Geld ist zunächst einmal eine eher rationale Angelegenheit, aber der Besitz oder eben Nichtbesitz macht es schnell emotional. Also gab es in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Studien und Erhebungen, die sich auf einer sehr sachlichen Ebene mit der Lohnungleichheit in Ost und West beschäftigt haben. Alle mit dem Ergebnis: es gibt auch nach 3 Dekaden teils noch erhebliche Unterschiede bei den Löhnen. Immerhin noch rund 17% beträgt das Gefälle 2019 von West nach Ost, dabei ist aber auch die Branche ganz entscheidend. Immerhin, es ist Besserung in Sicht, 2017 lag das Gefälle noch bei rund 19%. Längst gibt es auch nicht mehr unbedingt ein Gefälle zwischen West und Ost, oft gibt es zwischen einzelnen Regionen oder Bundesländern erhebliche Unterschiede. Der Süden Deutschlands kann dabei mit deutlich höheren Löhnen glänzen, als nördlichere Regionen.
Mehr Lohn ist nicht gleich mehr Lebensqualität
Es gibt also noch immer einen Unterschied bei den Löhnen, aber haben Menschen aus Regionen Deutschlands mit höheren Löhnen deshalb mehr Geld zur Verfügung? Eher nicht, denn beliebte Städte sind oft auch entsprechend teuer. Das Mehr an Einkommen wird also direkt wieder investiert. Ein Ungleichheitsempfinden bleibt bei vielen trotzdem bestehen.
Die Sache mit dem Soli
Der Solidaritätszuschlag wurde 1991 eingeführt und sollte ursprünglich eine steuerliche Unterstützung der westdeutschen an die ostdeutschen Bundesländer zur Kostenbewältigung der deutschen Einheit darstellen. Er besteht noch immer und sorgt gerade in den westdeutschen Bundesländern für allerlei Unmut, holen doch die ostdeutschen Länder immer weiter auf, während Regionen wie das Ruhrgebiet langsam abgehängt werden. Dabei zahlt grundsätzlich jeder Bürger über einer gewissen Einkommensgrenze diesen Soli. Da die Löhne in den östlichen Bundesländern aber häufiger unter dieser Grenze liegen, scheint es, als finanziere „der Westen“ „den Osten“. Dabei profitieren eigentlich schwächere Regionen stärker von dem Geld und diese müssen nicht unbedingt nur im Osten der Bundesrepublik liegen.
Ende 2019 wurde vom Bundestag die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags zu Gunsten niedrigerer und mittlerer Einkommen beschlossen. Durch die Anhebung der Freigrenze für einkommensteuerpflichtige Personen wird die Abgabe ab dem Jahr 2021 für ca. 90 Prozent der aktuellen Zahler entfallen. Finanzminister Olaf Scholz sieht den Abbau als Zeichen des Erfolges des Zusammenwachsens in Deutschland.
Und was ist mit der Gender Pay Gap?
Ein weiteres Problem tut sich auch bei der Bezahlung von Männern und Frauen auf, denn nach wie vor verdienen Frauen teils deutlich weniger bei gleicher Qualifikation und Leistung. Und dieser Unterschied bleibt seit Jahren nahezu konstant, eine Besserung bei der Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen scheint also nicht in Sicht. Gerade hier tun sich auch extreme Unterschiede zwischen Ost und West auf. Während sich Frauen in den neuen Bundesländern nur mit rund 7% weniger Gehalt begnügen müssen, sind es in den alten Bundesländern ganze 22% (Quelle: Statistisches Bundesamt, Stand 2018).
Daraus ergeben sich noch viel weitreichendere Probleme, als eine stärkere Abhängigkeit vom „Ernährer Mann“ in den westlichen Teilen Deutschlands. So sind Frauen in den alten Bundesländern noch immer stärker von Armut und vor allem Altersarmut betroffen, sollte die Ehe geschieden werden. Denn sie mussten sich bereits zuvor stärker auf das Einkommen des Mannes verlassen.
Fair ist diese Einkommenslücke nicht. Gerade in einer Zeit, in der immer mehr Menschen ihr Konsumverhalten überdenken und vorwiegend zu Produkten greifen, die nachhaltig und fair produziert wurden, wäre es äußerst wünschenswert, dass die bestehende Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern abgebaut wird.
Die Rente ist für alle da
Immerhin, einen Lichtblick gibt es. Die gesetzlichen Renten sind in Ost und West mittlerweile auf einem annähernd gleichen Niveau. Bis 2024 soll die Lücke von aktuell noch 2,8% komplett geschlossen werden. Trotzdem gibt es zwischen den einzelnen Bundesländern große Unterschiede in der Rentenhöhe, die sich aber nicht rein auf Ost und West beschränken lassen. Viel eher können hier Regionen mit überdurchschnittlich vielen gut bezahlten Stellen, wie ehemalige Bergbauregionen, punkten.
Es ist nicht alles schlecht, aber wir haben noch viel zu tun
Immerhin, man kann sagen: „wir sind auf einem guten Weg“. Die Grenzen verschwimmen immer weiter, nicht nur in den Köpfen, sondern auch finanziell. Und gerade die jüngeren Generationen haben die Chance, die aktuell noch bestehenden Ungleichheiten zukünftig auszumerzen, schließlich kennen sie nur ein gemeinsames Deutschland.
Weitere Beiträge aus unserer Reihe „30 Jahre deutsche Wiedervereinigung“
Hat Germanistik an der TU Dresden studiert und schreibt nun für das CarlMarie Magazin. Leidenschaftliche Hobby-Fotografin und Buchrezensentin.