Deutschland 1945: Eine ganze Generation versuchte den Krieg zu vergessen und flüchtete sich nicht nur in den Konsum des Wirtschaftswunders sondern auch in die Idylle von Heimatfilmen und Häuslichkeitsromantik. Dabei waren die Geschlechterrollen klar verteilt: Der Mann verdiente das Geld und die Frau blieb zu Hause und versorgte die Kinder. Vorehelicher Sex war verpönt und eine junge Frau, die mit 21 Jahren das erste Mal Sex hatte, schnell ein „haltloses Flittchen“. Abtreibungen konnten nur illegal vorgenommen werden und Homosexualität war Teil des Strafgesetzbuches.
Die Anti Baby Pille verändert alles
Die prüden 1950er Jahre waren allerdings mit einem Schlag vorbei, als am 18. August 1960 erst in den USA und ein paar Monate später auch in der BRD die Anti-Baby-Pille eingeführt wurde. Nun war es möglich, Sex zu haben, ohne dass ständig die Angst einer ungewollten Schwangerschaft mitschwang. Die Emanzipation der Frauen hatte begonnen. Sie konnten Berufs- und Universitätsabschlüsse machen und so ihr Leben in die eigenen Hände nehmen, ohne zwingend und vor allem viel zu früh Kinder zu bekommen.
Oswald Kolle und die Sexwelle durch die Medien
Schon Mitte der 1960er Jahre schwappte eine wahre Sexwelle durch die westdeutsche Medienlandschaft. In Hochglanzmagazinen, Schmuddelheftchen, in Werbekampagnen und vor allem auch im Fernsehen wurde nun viel nackte Haut gezeigt. Selbsternannte Sexforscher wie Oswald Kolle nahmen mit ihren „Aufklärungsfilmen“ die Sexualerziehung der jungen Männer und Frauen selbst in die Hand. Zugegeben, die Jugend konnte damals nicht genug von der Sexualaufklärung bekommen. Als im Oktober 1969 in der äußerst auflagenstarken Jugendzeitschrift „Bravo“ die Rubrik „Dr. Sommer klärt auf“ hinzukommt, wird sie in den folgenden Jahrzehnten von über der Hälfte aller Teenager gelesen. Dabei wird vor allem das direkte Ansprechen detaillierter Probleme wie „Macht Onanieren impotent“ oder „Kann ich vom Küssen schwanger werden?“ geschätzt.
„Wer zweimal mit der Gleichen pennt, gehört schon zum Establishment“
Doch genau das ging den Revolutionären und Revoluzzern der 1968er-Bewegung bei weitem nicht weit genug. Für sie war klar, dass die Befreiung des modernen Menschen von gesellschaftlichen Zwängen nur über eine sexuelle Revolution möglich war. Liebe und Sexualität galt es von ihrem staatlichen, kirchlichen und moralischen Korsett zu befreien. Traditionelle Familienkonstrukte und selbst die Ehe sollten durch völlig neue Lebensentwürfe des Zusammenseins ersetzt werden. Make Love not War – Genuss sollte nun im Mittelpunkt stehen. Ganz vorn dabei: die Hippie-Kommune 1, in der Rainer Langhans und Uschi Obermaier mit anderen Mitstreitern lebten und in der die Devise galt: „Wer zweimal mit der Gleichen pennt, gehört schon zum Establishment!“
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Freiheit und neue Zwänge – und in der DDR wird gevögelt
Dabei waren die Frauen auch damals, vor 50 Jahren nicht wirklich frei. In politischen Diskussionen spielten sie eine geringe Rolle, sie hatten in den Hinterzimmern Flugblätter zu tippen und ansonsten sexuell möglichst frei, das hieß verfügbar zu sein. Ganz anders in der DDR. Hier wurde ebenfalls mit Einführung der Anti-Baby-Pille erklärt: „Schon die Vordenker des Kommunismus waren gegen jede Lustfeindlichkeit. Anzustreben sei Lebensfreude, auch durch ein erfülltes Liebesleben.“ Sex – auch vorehelicher – galt in der DDR als normal. Auch das Abtreibungsgesetz war liberaler. Dazu kamen die Freiheiten beim FKK. Und während man nicht großartig reisen konnte und auch die berufliche Selbstverwirklichung nicht wirklich möglich war, hatte man – so bescheinigte es Ost-Psychotherapeut Jürgen Lemke – „eine Menge Zeit zum Vögeln.“
Tutti Frutti und bumsfidele Sex-Filmchen
In den 1980er Jahren erfuhr die Sexuelle Revolution dann die totale Kommerzialisierung. Ausgerechnet eher konservative Kreise, die die Liberalisierung in den späten 1960er Jahren noch hart bekämpft hatten, erkannten über die Sender des aufkommenden Privatfernsehens die Möglichkeiten, Profit zu machen. Auf RTL und Sat1 flimmerten im Spätprogramm zahllose Sexfilmchen, Erika Berger kam in ihrer Sendung „Eine Chance für die Liebe“ mit aufklärerischer Attitüde daher und Hugo Egon Balders Show „Tutti Frutti“ war eigentlich kompletter Nonsens, sorgte aber mit blanken Brüsten für Furore. Viele der einstigen Sex-Revolutionäre saßen da schon fassungslos vor den Fernsehgeräten und staunten, in welches Vulgär-Theater sich ihr einstiger Umsturz verwandelt hatte. Doch schon Mitte der 1990er Jahre schien alles gesagt und gezeigt zu sein und so verschwand diese TV-Sexwelle so schnell, wie sie gekommen war.
Und das bewegt die neue Generation
Bei der Frage, was etwa 50 Jahre nach der sexuellen Revolution von ihr geblieben ist, stehen drei Stichworte im Zentrum. Zunächst ist da natürlich das Internet mit all seinen Möglichkeiten der Aufklärung auf der einen und pornographischen Angeboten auf der anderen Seite. Jugendliche sind heutzutage tausendmal besser aufgeklärt, als noch die Generationen vor ihnen. Aber mit den zahllosen Angeboten und Möglichkeiten kommt eben auch die Qual der Wahl. Während sich junge Männer und Frauen auf Romantik, Zärtlichkeit und das Entdecken des menschlichen Körpers konzentrieren konnten, stehen heute Dutzende von Sexualpraktiken, Stimulanzien und sexuelle Spielzeuge zur Verfügung. Dazu kommt der Druck fortgesetzter Selbstoptimierung.
Junge Menschen versuchen sich an immer gleichen Schönheitsidealen auszurichten. Dagegen gibt es allerdings mittlerweile die Body Positivity-Bewegung, mit der den jungen Frauen und Männern der Druck genommen werden soll, immer und jederzeit schlank, jung und verführerisch sein zu müssen. Oder wie es die deutsche Komikerin Carolin Kebekus sarkastisch formulierte, ständig „fuckable“ zu sein. Noch vor 1968, so erklärte die Münchener Soziologin Imke Schmincke, sei es gar nicht als Scheitern empfunden worden, ein unerfülltes Sexleben zu haben. Heute wäre es vielmehr so, dass es schon fast einen „verinnerlichten Zwang gibt, eine gute, erfolgreiche Sexualität haben zu müssen.“
Body Positivity – come as you are!
Sieht man sich die Statistiken an, dann erlebte die Sexuelle Revolution in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt und begann danach zu scheitern. Noch 1995 war die Zufriedenheit der Männer und Frauen mit ihrem Körper und ihrem Sexualleben so hoch wie noch nie zuvor in der Geschichte. Doch schon sieben Jahre später begann die Kurve kontinuierlich zu sinken. Das mediale Informationsgewitter von Social Media und Photoshop zeigt Wirkung und sorgt für zunehmendes Unbehagen. Zu dick, zu klein, zu dünn, zu wenig, zu viel – nichts ist mehr richtig. Und alles ein einziges Defizit.
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Dabei sieht die Realität eigentlich ganz anders aus. Dort existieren unzählige verschiedene Körperformen, Hautfarben und -typen. Es gibt unterschiedliche Herkunftsmilieus, soziale Prägungen und natürlich auch anatomische Abweichungen und Behinderungen. All das kann und muss geliebt und akzeptiert werden können. Body Positivity heißt deshalb vor allem Körperakzeptanz und das Loslassen von negativen Selbsturteilen. Der eigene Körper soll geliebt und umarmt werden, egal ob er der „Norm“ entspricht, ob er zu dünn oder zu dick ist.
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin