Angehimmelt und verpönt: Die wechselvolle Geschichte des weiblichen Hinterns

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Man kennt das Sprichwort: "Mädchen und Frauen wollen immer den Körpertyp, den sie nicht haben." Dies lässt sich heute leicht abwandeln: „Mädchen und Frauen wollen immer den Po, den sie nicht haben.“

Mit dem Aufstieg von Jennifer Lopez, Kim Kardashian und Nicki Minaj zu Pop-Ikonen unserer Zeit hat sich das Thema, welcher Hintern-Typ der ideale ist, vor viele andere Aspekte der Debatte um die perfekte weibliche Figur geschoben. Es hat seine guten Seiten, dass es momentan vor allem die voluminösen Hinterteile sind, die es Frauen und Mädchen weltweit ermöglichen, sich für Rundungen nicht (mehr) schämen zu müssen. Doch wie bei allen Moden, so wirft auch dieser neue Idealtypus seine Schatten. Wer keinen runden Hintern hat, ist plötzlich außen vor.
Dass dabei – mal wieder – das weibliche Hinterteil alle anderen Körper-Aspekte aussticht, kommt nicht von Ungefähr. Schon durch alle Epochen unserer Kulturgeschichte hindurch zog der Po der Frau die Blicke der Geschlechtergenossinnen auf sich, vor allem aber die der Männer. Kaum ein anderes Körperteil weckt derart viele Begehrlichkeiten und Fantasien, symbolisiert Sexualität und heizt die Erotik an.

Die Vorlieben haben sich dabei geändert. Genauer gesagt, sie pendeln mal wieder hin und her zwischen Fülle und Knappheit, großen Hintern und kleinen, rund oder knackig, fest oder weich, prall bzw. schmal, kurzspaltig und langspaltig, apfel- oder birnenförmig, kugelig, halbmondförmig.
Wir wollen euch einen Überblick geben, was es mit diesem Phänomen auf sich hat. Im Zentrum soll dabei ein rätselhafter Widerspruch stehen. Im Anschluss geben wir euch einen historischen Überblick geben, welchem Wandel die Betrachtung des weiblichen Hinterns allein in den vergangenen 100 Jahren unterlegen war.

Wusstest du…?
Von 2013 bis 2014 stieg die Zahl von Frauen, die ihren Hintern künstlich vergrößern ließen, laut „American Society for Aesthetic Plastic Surgery“ um 86 Prozent an, die des künstlichen Po-Lifts um 14,8 Prozent.

Von der wissenschaftlichen Seite betrachtet

Man kann sich dem Thema Hintern lexikalisch annähern. Es gibt gleich mehrere Begriffe, die unsere Region am unteren Rumpfende bezeichnen: Gesäß, Po, Popo, Hintern, Hinterteil, Allerwertester. Damit sind die positiven Begriffe aufgezählt. Es gibt aber auch Wörter, die auf einen nicht jederzeit unproblematischen Umgang des Menschen mit seinem Gesäßteil hindeuten. Der geläufigste ist: Arsch.
Das Wort Po leitet sich aus dem Lateinischen von „podex“ (Gesäß) ab. Das Wort Popo wird einer Verniedlichung von Ammen zugeschrieben, von ihm leitet sich die Redewendung ab, sich „auf seine vier Buchstaben zu setzen“.

Anatomisch verliert der Hintern so gut wie jede sexuelle Konnotation. Stellvertretend soll dafür die Beschreibung des Hinterteils stehen, wie sie das Online-Lexikon Wikipedia anbietet. Danach besteht „das Gesäß ist aus zwei halbkugelförmigen, spiegelsymmetrischen Gesäßhälften oder Gesäßbacken, die durch die Analrinne voneinander getrennt werden. Das Gesäß besteht aus den beiden Sitzbeinen, dem Becken als knöcherner Grundlage, aus den Gesäßmuskeln und aus ausgeprägten Fettpolstern. Durch die Gesäßfurchen werden beide Gesäßbacken nach unten begrenzt.“

Dazu sei an dieser Stelle angemerkt. Bis zur Pubertät sind die Hintern von Jungen und Mädchen weitgehend gleich ausgebildet, danach gehen sie in ihrer Entwicklung getrennte Wege. Bei Frauen werden die weiblichen Hüftknochen mit der Geschlechtsreife breiter, mehr Fettgewebe lagert sich ab. Es verändert sich auch der Gang der Frauen, da die Oberschenkelknochen nicht parallel zur Wirbelsäule stehen, sondern dezent angewinkelt sind. Das hat zur Folge, dass die Pobacken schwingen. Frauen „wackeln“ also mit ihrem Po. Bei Männern hingegen wir die Muskulatur des Hintern mit dem Alter straffer, der Hintern „knackiger“, bis auch er seine Form nicht mehr halten kann.

Wusstest du…?
2013 nahm das „Oxford English Dictionary“ das Wort „twerking“ als neues Wort auf. Es beschreibt den aus dem Hip Hop bekannten Tanz, bei dem Frauen auf stark sexuell konnotierte Weise ihre Hüften und ihren Hintern kreisen und ruckartig zucken bzw. schwingen lassen. Er stammt ursprünglich aus Ländern wie Haiti, Kuba, Jamaika oder Brasilien.

Auch Frauen lieben den Hintern eines Mannes, schauen ihn gern an, berühren und kneten ihn mit Hingabe. Dies wird leicht vergessen, wenn es um die erotische Anziehungskraft des Pos geht. Meist konzentriert sich das Sprechen darüber auf das weibliche Hinterteil, das durch alle Jahrhunderte hindurch eine überragende sexuelle Bedeutung besitzt. Er gehört zu den erogenen Zonen, schürt Fantasie, Lust und Begierde.

Möglich macht es ein ethnologischer Aspekt. Forscher gehen davon aus, dass es vor allem der Hintern ist, der Männern signalisiert, wie fruchtbar eine Frau ist. Je runder, desto größer die Chancen auf gesunden und properen Nachwuchs – lautet die Kernbotschaft. Mehr noch aber lockt der Hintern einer Frau mit Aussichten und haptischen Freuden. Als nervenreicher und stark durchbluteter Körperbereich ist der Po bei beiden Geschlechtern mit anderen erogenen Zonen verbunden. Das Streicheln, Kneten, Drücken, Massieren des Hinterns elektrisiert den ganzen Körper. Insbesondere Frauen stimuliert die Berührung, es besteht eine direkte Verbindung zwischen Po und Brüsten. Für Männer wiederum ist es nicht nur die Berührung, die ihn an den Hintern einer Frau fesselt. Nicht umsonst ist der Koitus von hinten eine der beliebtesten Stellung beim Sex, denn auch der Anblick von Rücken und Po ist es, der Männer begeistert und erotisiert.

Positiv oder negativ? Das kulturelle Problem des Hinterns

Trotz dieser außergewöhnlichen Stellung des Hinterns in der Erotik-Geschichte von Frau und Mann, ist unser Verhältnis zum Hintern voller Ambivalenzen. So wird ein schönes Hinterteil geschätzt, gleichzeitig ist Arsch das häufigste Schimpfwort in unserer Sprache. Wir betonen den Hintern mehr als jede andere Körperregion durch das Tragen von engen Jeans, Miniröcken, Tangas oder Reizwäsche, dennoch wird kaum eine Körperregion mit solcher Sorgfalt verhüllt. Er ist der Ort von Liebkosungen und dennoch ein traditionelles Ziel von Tritten und Schlägen. Wir himmeln ihn an und reißen derbe Witze über ihn.

Scham und Ekel sind zwei Gründe für diesen Widerspruch. Unsere Kultur hat eine ästhetische Schranke für Körperausscheidungen errichtet, denen die meisten Menschen angewidert gegenüberstehen. In erster Linie betrifft das unseren Kot, für den unsere Sprache kein einziges positives Wort bereithält. Die neutralste Bezeichnung, die sich finden lässt, ist „Stuhl“ oder „Stuhlgang“. Auch das kennzeichnet den Hintern: Unsere Kultur bringt das nur sehr schwer zusammen. Sinnbildlich für diesen Widerspruch steht der Klaps oder Schlag auf den Hintern, der Lust und Bestrafung bedeutet, so wie die Aufforderung „Leck mich am Arsch“ von Verlockung und Verachtung getragen wird.

Diese Hin und Her bei der Anschauung unseres Hinterteils spiegelt sich auch in der Wahrnehmung des Gesäßes, speziell des weiblichen, in den vergangenen 100 Jahren wider. Es ist ein einziges Auf uns Ab, welche Form gerade en vogue ist – und Mädchen wie Frauen immer wieder in die Bredouille bringt. Dabei ist es im Grunde genommen völlig gleich, was gerade in ist, denn genauso wenig wie es den einen Hintern gibt, der alle Aspekte eines Ideals erfüllt, so gibt es nicht den einen Geschmack bei Männern.

Eine kleine Zeitreise durch die Entwicklung unseres Pos

Eine kleine Reise zurück in die Geschichte des angeblich perfekten Hinterns soll unterstreichen, wie wandelbar und vielfältig unsere Wahrnehmung des weiblichen Gesäßes ist.

Wusstest du…?
Der Niederländer Peter Paul Rubens (1577 bis 1640) malte in seinem Leben 570 Bilder. In diesen zeigte sich eine starke Affinität zu properen Frauen. Daraus leitet sich der Begriff „Rubens-Frau“ ab.

Die 1910er – Groß und rund

 

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In den frühen 1900er Jahren hatte in Amerika ein Grafiker und Maler großen Einfluss darauf, welche Hinternform idealisiert wurde. Sein Name war Charles Gibson. Sein „perfekte Po“ war Teil einer Sanduhrform, die dank seiner Illustrationen an Popularität gewann. Gibson nutzte sein Talent und seinen Einfluss, um den kräftigen und runden Hintern seiner idealen Frau – dem „Gibson Girl“ – zu verherrlichen. Da Gibsons Illustrationen das Äquivalent zu den heutigen High-Fashion-Fotografien waren, hatten sie einen großen Einfluss darauf, wie der State-of-the-Art-Hintern aussehen sollte.

Die 1920iger – Flach muss er sein

Die stilbildenden Frauen der Zwanziger Jahre waren die sogenannten „Flappers“. Diese Frauen trugen die Haare kurz, Miniröcke oder Hosen, und setzten sich meist rauchend über die Konventionen ihrer Zeit hinweg. Als sie begannen, die Popkulturszene zu erobern, waren Gibsons kurvige Ärsche nicht mehr das Schönheitsideal, das sie einst waren. Androgyne Mode wurde immer beliebter, damit einher ging das neue Sexy: flach, klein, jungenhaft. Frauen, die kurviger waren, trugen spezielle BHs, um ihre Brust zu glätten. Hungerdiäten kamen in Mode, um so kurvenlos wie möglich auszusehen.

Die 1930iger – leicht kurvig

Die 1930er Jahre leiteten im stilbildenden Amerika das Goldene Zeitalter Hollywoods ein, so dass Kurven, aber nur leichte Kurven, wieder zum Schönheitsstandard wurden. Ab den 1930er Jahren und bis in die 1950er Jahre hinein wurden Tabletten zur Gewichtszunahme in Zeitschriften beworben, um Frauen dabei zu helfen, kurvigere Hinterteile zu bekommen – und auch alles andere. In dieser Zeit war es eine Beleidigung, als „dünn“ bezeichnet zu werden, und flache Gesäße waren offiziell out.

Wusstest du…?
… 2007 nahmen 16.000 Frauen an einer Studie teil, die (angeblich) herausfand, dass Frauen mit breiteren Hüften und voluminösen Hintern einen größeren IQ haben als ihr eher schmalen bzw. „flachen“ Geschlechtsgenossinnen.

Die 1940iger – Abgerundet, um willkommen zu heißen

In den frühen 40er Jahren arbeiteten Frauen mehr denn je außerhalb des Hauses, um die Lücken in der Belegschaft zu füllen, die die Männer im Zweiten Weltkrieg hinterlassen hatten – so stark, dass kantige Körper idealisiert wurden. Als amerikanische Soldaten zurückkehrten, wurden abgerundete Hüften und Hintern als optisch ansprechend bewertet, um die „Helden“ zu Hause willkommen zu heißen.

Die 1950iger – Monroe und Taylor setzen den Standard

Ein weltweiter Hunger nach Dolce Vita und Annehmlichkeit machte große Kurven wieder zum State oft he Art. So sehr, dass Hüft- und Po-Polster in den Läden verkauft wurden. Dünne Frauen wurden für ihren Mangel an Form schief angeschaut und ermutigt, Nahrungsergänzungsmittel zur Gewichtszunahme einzunehmen, um ihre Figur aufzufüllen. Die Sanduhrfigur feierte ihr Comeback. Marilyn Monroe, Liz Taylor oder Sophia Loren setzen den neuen Goldstandard für den „idealen“ Hintern.

Die 1960iger – Zierlich wie Twiggy

 

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Erneut erfährt der weibliche Po eine drastische Transformation. Kurven werden ersetzt durch zarte Silhouetten. Das liegt zum Teil daran, dass Modetrends wie der Minirock populär wurden und es einfacher ist, einen Minirock zu tragen, wenn der Hintern klein ist. Eine Stilikone dieser Zeit war Lesley „Twiggy“ Lawson, eine zierliche Britin, die in den „Swinging Sixties“ zum schlanken Teenagestar wurde.

Die 1970iger – Fitter Hintern dank „Engel für Charlie“

Farrah Fawcett war „Everybody’s Darling“ der Mainstream-Popkultur der 1970er Jahre, und da der „Engel für Charlie“ einen athletischen Hintern hatte, waren „fitte Hintern“ in, und leichte Kurven begannen wieder „ok“ zu sein. Schlank zu sein, blieb aber das Gebot dieses Jahrzehnts, das galt auch für den Allerwertesten. Erstmals wurden auch farbige Frauen zu Trendsettern. Beverly Johnson war die erste schwarze Frau, über die die „Vogue“ berichtete, und Darnella Thomas wurde das erste afroamerikanische Model, das ein Parfüm von Revlon/Charlie bewarb.

Wusstest du…?
Das Metropolitan Museum in New York bietet eine „Butt-Tour“ an, die sich nur mit den Hinterteilen der ausgestellten Bilder und Skulpturen beschäftigt.

Die 1980iger – Nüsse knacken

Jane Fonda brachte Aerobic in den Mainstream – und mit ihm die Vorstellung, dass schön vor allem fit bedeutet. Damit setzte sich der Trend der Siebziger fort, der Fitnessboom der 1980er förderte jedoch mehr als nur sportlich, schlanke Hintern. Er ging noch einen Schritt weiter. Muskeln bei Frauen wurden nicht nur akzeptabel, sondern auch wünschenswert. Dies galt natürlich auch für die Gesäßpartie. Die Redewendung „Ein Hintern, um damit Nüsse zu knacken“ stammt aus dieser Zeit.

Die 1990iger – Shake that booty

Supermodel-Ärsche (ob klein und flach, klein und rund oder groß und rund) waren in den 1990er Jahren der ideale Po-Typ. Damals machten Models wie Kate Moss und Elle Macpherson den „waif“-Look (alias „Heroin-Chic“) populär, was bedeutete, dass der ideale Hintern superwinzig war. Doch auch andere berühmte Supermodels der 90er wie Cindy Crawford, Claudia Schiffer oder Naomi Campbell wurden gefeiert – und obwohl deren Hintern nicht unbedingt groß waren, waren sie rund genug, um Hotpants mit Leichtigkeit auszufüllen Darüber hinaus läuteten die 90er eine neue Ära ein, in der farbige Frauen endlich in der Mainstream-Popkultur idealisiert wurden. Tyra Banks schrieb Geschichte, als sie 1997 als erste schwarze Frau auf dem Cover von Sports Illustrated zu sehen war, und Künstlerinnen wie Jennifer Lopez waren in der Lage, große Hintern zum idealen Po-Typ zu stilisieren. Zudem trug der Hip Hop zur Geburt des „booty“ bzw. „big butt“ bei, der groß und rund sein musste, um ihn zu den Beats „twerken“ zu können.

Die 2000er – Füllig sein ist kein Makel mehr

Als Britney Spears, Beyonce und Christina Aguilera in den Nullerjahren anfingen, die Popszene zu dominieren, wurden ihre aufgepeppten, runden (aber nicht supergroßen) „booties“ zu Stilsettern. Für den Mainstream waren diese Hinternformen zwar unerreichbar, denn es gehört viel genetische Mitgift und Training dazu, um ihn auf Beyonce-Size zu formen, aber immerhin war füllig kein Makel mehr. Es durfte überall – und am Hintern – gern wieder mehr sein.

 

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Wusstest du…?
Als das Video von Nicki Minajs Smash-Hit „Anaconda“ erstmals online gezeigt wurde, sahen es in den ersten 24 Stunden 19,6 Millionen Menschen.

Die 2010er bis heute – Nicki Minaj bringt es auf den Punkt

In den letzten Jahren haben erfolgreiche Frauen wie Nicki Minaj und Kim Kardashian ihren Einfluss und ihre „Vorteile“ genutzt, um großen Hintern dabei zu helfen, wieder als „idealer“ Po-Typ zu gelten. Und groß bedeutet dabei: groß. Es waren vor allem diese beiden Künstlerinnen, die Hintern zu Idealtypen erhoben, wie sie in der Geschichte zuvor selten in dieser Form gefeiert und in den Stand eines historisch neuen Sex-Appeals erhoben wurden. Minaj etwa brachte es in ihrem berühmten Song „Anaconda“ auf den Punkt: “Oh, my gosh, look at her butt, look at her butt, look at her butt!” („Oh mein Gott, schau auf ihren Hintern, schau auf ihren Hintern, schau auf ihren Hintern!“).