Und siehe da, nichts ist, wie es scheint. Dita Von Teese ist bei ihren Vorführungen von Kopf bis Fuß geschminkt. Sie braucht jedes Mal drei Stunden, um das Make-Up wieder zu entfernen.
Ist also nur aufgetragen, der perlenweiße Teint, mit dem die Von Teese berühmt geworden ist. Zusammen mit ihren knallroten Lippen, den schwarz gewellten Glamour-Haaren, dem linienschlanken Körper und einer Show, die die kunstvolle Enthüllung vor Publikum wieder belebt hat. Dita Von Teese ist die Ikone des erotischen Ausdruckstanzes, der in den Zwanziger und Dreißiger Jahren schon mal en vogue war. Damals Burlesque genannt, sinnigerweise heißt das Revival New Burlesque.
Und zu dem gehört der geschminkte Ganzkörperteint dazu. Burlesque ehedem wie heutzutage ist eine De-Maskerade, die zum Ziel hat, das Ich zu vergrößern, Wirkung zu erzielen, und die erotische Enthüllung zu überzeichnen. Die Überhöhung ist ein Stilmittel. Und der surreale Effekt Teil der Show.
Burlesque-Frauen schminken sich wie Operetten-Darstellerinnen, sie tragen Masken, Halsbänder, Korsagen mit Vorliebe oder BHs, Slips aus Seide, Strumpfhalter, Federn, Boas, Fächer, Handschuhe, Netzstrümpfe, High Heels. Sie glitzern in allen Farben und Facetten. Und wenn dazu der Teint leuchtet wie das Perlmutt einer Muschelschale – umso besser.
New Burlesque – Kleinkunst und Big Business
Erotik ist das Motiv. Aber nicht allein. Nie geht eine Burlesquine zu weit. Sich vollständig auszuziehen, ist nicht das Ziel. Pasties verhindern ohnehin den unverstellten Blick auf die Brust. Sich kunstvoll auszukleiden, dabei zu amüsieren, zu provozieren und aufzureizen oder eine kleine Metamorphose zu erzählen – das ist es, was Burlesque ausmacht. Ein Beispiel aus einer Show in Berlin: Eine Frau betritt die Bühne als unschuldiges Mädchen, sie zupft sich die Kleider vom Körper und enthüllt einen Vampir. Am Ende beißt sie einem Komparsen das Herz aus der Brust. Er sinkt danieder, sie lächelt blutverschmiert, Show gelungen. Applaus.
Solche Auftritte gehören mittlerweile fest zum Abend-Repertoire von Großstadtbühnen. Seit den Nullerjahren erfreut sich das kunstfertige Entblättern einer Frau auf der Bühne wieder großer Beliebtheit. Es geht oft klein zu, viele Burlesque-Shows finden auf Kleinkunst-Rampen statt. Man ist meist unter sich, das Publikum vom Fach. Es ist aber auch Big Business, groß, barock, aufwendig. Shows der Von Teese haben solche Dimensionen. Ihre Enthüllungstänze sind mittlerweile VIP-Veranstaltungen, man muss es sich leisten können.
Oft rekelt sich die schöne Amerikanerin dabei am Ende in einem riesigen Champagnerglas. Mit Wasser gefüllt natürlich. Die Zeiten, in denen während der Prohibition in den USA die Burlesque-Tänzerinnen in Champagner badeten, sind lange vorbei. Retro heißt nicht unbedingt Rückkehr, sondern ist eher noch eine Aufnahme der Vergangenheit in die Gegenwart.
Das gilt auch für die amerikanische Pin-Up Kultur der Fünfziger und Sechziger Jahre. Das Bild der sittsamen Hausfrau, ein wenig naiv, immer unschuldig, die ihre Unterhöschen, den Hintern oder die nackten Beine nie selbst enthüllt, sondern vorzugsweise der Wind so wie über dem Lüftungsschacht einer New Yorker U-Bahn, auf dem Marilyn Monroe im Film „Das verflixte siebte Jahr“ ein Pin-up-Bild für die Ewigkeit schuf, passt perfekt zur Burlesque der Neuzeit. Es hat seinen ganz eigenen Charme, mit dem Janusbild der zweigesichtigen Frau zu spielen. Der Ausdruck ist anständig und der Eindruck verrucht.
Wie früher wird es nicht mehr werden
Pin-up-Burlesque ist deshalb der neueste Schrei in der Szene. Läden gibt es zum Beispiel hierzulande zuhauf: das Queen Calavera auf der Hamburger Reeperbahn, genannt Home of Burlesque, es ist das älteste Etablissement seiner Art in Deutschland. Oder die kleine Nachtrevue in Berlin. Auch an Ensembles und Gruppen mangelt es nicht. Vor allem in den neuen Bundesländern hat sich Burlesque, Pin-up und der dazugehörige Soundtrack des Rockabilly zusammengetan. In Berlin die Teaserettes, in Leipzig die Lipsi Lillis und in Dresden die wohl europaweit bekannteste Tänzer-Gruppe, The Petits Fours, die mit der Rock’n’Roll-Band The Firebirds und dem Gesangtrio The Pearlettes liiert sind. Ihre Revue heißt „The Firebirds Burlesque Show“, ab März 2017 geht’s wieder auf Tournee.
So leben die Burlesque-Shows von einer neuen Sehnsucht nach alten Formen des Amüsements. Aber wie früher wird es wohl nicht mehr werden. Die Burlesque-Shows der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren keine Hinterhof-Darstellungen. Sie waren Vorderhaus-Veranstalungen, es gab sie en masse und sie bedienten eine Sehnsucht nach Unterhaltung und Erotik.
Das Vaudeville war die alte Heimat. Vaudevilles waren amerikanische Versionen des französischen Revue-Theaters für kleines Geld. Bühnen-Unterhaltung, nicht ganz buchstabengetreu, die Vaudeville-Shows in Europa erzählten Geschichten, die in den USA waren Nummern-Programme. Kleine, gemischte Tanz-, Gesangs- und Sprechauftritte in der Art eines Varietés. Es ging urig zu, auch mystisch und akrobatisch. A, O und Humor standen im Mittelpunkt, Verballhornung und die ironische Klage über den Zustand der Zeit waren Pflicht.
Vom Vaudeville zur Burlesque-Show
Die Vaudevilles kamen gegen 1880 auf. Sie erlebten vor und nach dem 1. Weltkrieg ihren Höhepunkt – und versanken als Erinnerung in den Kinos der Stummfilmzeit. Nur die ersten Komödianten der frühen Leinwandjahre hielten das Alte im Neuen noch lebendig. Stars wie Buster Keaton, die Marx-Brothers, Eddie Cantor oder die Stooges hatten ihre Karriere allesamt in Vaudevilles begonnen.
Aber die Vaudeville-Künstler hatten die Bühnenbretter geschliffen. Wenn sie nicht zu Kinositzreihen umgewandelt wurden, liefen plötzlich Frauen darüber, die mit den englischen und französischen Travestie-Shows und großen Revue-Varietés wie dem Moulin Rouge und den Folies Bergère ins Land gekommen waren. Die Burlesque-Show made in the US übernahm von den Vaudevilles die Rampen – und ließen das Kino Kino sein. Erotik auf der Leinwand war nichts im Vergleich mit Erotik auf einer Bühne. Es ging zwar immer noch ein bisschen zu wie in den Vaudevilles, eines aber war neu – und en vogue bis die Weltwirtschaftskrise die Lust in Frust und Elend verwandelte: der angedeutete Striptease.
Kaum etwas passte besser in die Zeit der Goldenen Jahre zwischen den zwei Weltkriegen wie die Burlesque. Sie war nicht plumpe Erotik. Sie verfeinerte Entblätterung und war der Ausdruck einer selbstbewussten Frauen-Generation. Die Burlesquine führte ihre Reize vor, heizte die Begierde an und verschwand als halbnackte Ahnung wieder hinter der Bühne. So zeigt man sich und – gehört doch keinem. In dieser Form entsprach die Burlesque-Tänzerin dem Flapper-Girl der Golden Year: kurzer Rock, meist kurzes Haar, ungebunden, promisk, wenn es sich anbot, rauchend, trinkend – selbstbestimmt.
Schwarze Haare, schwarzer Pony
Doch es währte nicht lang. Der Börsencrash von 1929 und der 2. Weltkrieg ließen das alte Frauenbild wieder auferstehen. Und mit ihm das Pin-up-Mädchen in seiner biederen Form, das dem Soldaten an der Front als Wandfolie für seine Sehnsüchte diente. Bis in die 60iger Jahre hielt sich das immer – Huch! – in laszive Umstände geratene Poster-Mädchen zum Pinnen an die Wand als amerikanisches Protobild der Frau. Schmale Beine, Knack-Po, Wespentaille, üppige Brüste, große Klimperaugen und schulterlanges Haar waren seine Erkennungsmerkmale. Auf den Zeichnungen wie später auch in natura, als mit Betty Grable, Marilyn Monroe oder Jayne Mansfield die ersten Pin-ups auf Fotos und Leinwänden auftauchten.
Auch Betty Page war dabei. Die junge Amerikanerin war die meistfotografierte Frau der Fünziger und Sechziger Jahre. Ihr Look: schwarze lange Haare, schwarzer Pony, hin und wieder ein Schleifchen mit Polka-Dots in den Haaren – und lasziv in allen erdenklichen Posen. Mit Betty Page wurde das Pin-up verrucht. Jetzt war es bereit für die Bühne der Burlesque. Heute gilt Betty Page als Ikone der sexuellen Revolution und des New Burlesque. Auch Dita Von Teese, selbst Ikone, fühlt sich inspiriert. Die Page, hat die Queen of Burlesque einmal gesagt, sei wie der „Wind unter meinen Quasten“.
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin