In den 1920er und 1930er Jahren war sie neben der deutschen Landsfrau Mary Wigman eine der bekanntesten Protagonistinnen des modernen Ausdruckstanzes und fast schon selbst Symbol der Moderne. Sie gründete in Dresden eine heute immer noch hochgelobte Tanzschule und war als Halbjüdin und politisch Desinteressierte spätestens seit 1933 eine Wanderin zwischen den Welten des zerrissenen Deutschlands. Bühne auf und Applaus für Gret Palucca.
Gret Palucca, die Tänzerin für Dada und Bauhaus
Mary Wigman hieß eigentlich Karoline Marie Wiegmann und stammte aus Hannover. Doch in den 1920er und 1930er Jahren war sie in Deutschland ein Star und wurde auch im Rest Europas als Schöpferin des New German Dance gefeiert. Wigman, die 1973 in West-Berlin starb, erinnerte sich in einem spät im Leben verfassten Essay: „Zu meinen ersten Schülerinnen gehörte ein Mädchen mit schmalen Hüften und jungenhaftem Gesicht, das von wilden, rotblonden Haaren umrahmt war. Ihr Name war: Gret Palucca. Sie hatte ein ausgezeichnetes, wenn nicht außergewöhnliches Tanztemperament gepaart mit einer natürlichen Fähigkeit zu springen. So eine Begabung habe ich bei keinem der vielen Tänzer und Tänzerinnen, die ich im Laufe der Jahre unterrichtet habe, jemals wieder erlebt.“
Gret Palucca selbst war von der Pionierin des Ausdruckstanzes frühzeitig fasziniert und wollte unbedingt zu ihrer Tanzgruppe gehören. Doch obwohl von der Meisterin akzeptiert und zum Star befördert, trennten sich ihre Wege früh. Mary Wigman war eine tiefgründige bis schwermütige Frau, die alle ihre Entscheidungen stark reflektierte. Gret Palucca hingegen war wild, impulsiv und spontan. Unterordnen konnte und wollte sie sich nicht. Ihr Geschenk und Schicksal war es, eigene Wege zu gehen.
Palucca-Schule: Gründung der eigenen Tanzschule mit 23 Jahren
Gret Palucca war 1902 in München als Margarete Paluka geboren worden. Ihre Mutter war Jüdin und stammte aus Ungarn. Ihr Vater, ein Apotheker, war aus Konstantinopel nach Deutschland gekommen. Die ersten Jahre verbrachte die wilde Margarete in San Francisco, bevor sie 1909 mit ihrer Mutter nach Dresden zog. Hier lernte sie Mary Wigman kennen, legte sich ihren Künstlernamen Gret Palucca zu und heiratete Fritz Bienert, dessen Mutter Ida Bienert die erste private Sammlung moderner Kunst in Deutschland besaß. Ida Bienert führte darüber hinaus einen glamourösen Salon, in dem zahlreiche Künstler der Bauhaus- und Dada-Bewegung, darunter Walter Gropius, ein- und ausgingen.
In dieser Umgebung wurde Palucca, die Tänzerin und ihre eigene Tanzform, selbst zum Star und einem eigenen Symbol der Moderne. Mit erst 23 Jahren gründete sie 1925 ihre eigene Tanzschule, die als Palucca-Hochschule bis heute in Dresden existiert. Doch die folgenden Jahre lebte der Wirbelwind aus dem Koffer. Sie war ständig unterwegs, reiste von Stadt zu Stadt, tanzte auf allen wichtigen Bühnen Deutschlands und Europas.
Schon 1926 beschrieb der Tanzjournalist John Schikowski die Hochbegabte so: „Dieser jugendfrische Kraftmensch mit dem kecken Gassenjungenprofil ist eine Kämpfernatur, scheint mit dem Raum wie mit einem unsichtbaren Feinde zu ringen, marschiert mit festem, sicherem Paradeschritt zum Angriff auf, umkreist in wilden Sprüngen den Gegner, entzieht sich seinen Gegenstößen durch überraschende Schwenkungen und Wendungen, stürmt, stampft, fliegt über die Bühne, fährt in kreiselnden Wirbelstürmen durch die Luft und triumphiert schließlich über das besiegte Chaos des Raumes, das durch seine Schritte, Sprünge und Schwünge zum harmonisch gegliederten Kosmos gestaltet ist.“
Palucca füllt die Bauhaus-Bühne
Ein besonderes Verhältnis entwickelte Gret Palucca zum Bauhaus in Dessau. Dort unterrichteten die spannendsten Geister der Moderne. Paul Klee, Wassily Kandinsky oder Walter Gropius trieben sich zu immer neuen Ideen an. Und Gret Palucca, die wie kaum ein andere den Tanzraum neu definieren und füllen konnte, war überaus willkommen. Auf der legendären Bauhaus-Bühne (die sie, so sagt sie später, eigentlich für zu klein hält) war sie Dauergast und begeisterte das Publikum durch ihre kraftvolle Art des Tanzes. Bis zu ihrem letzten Auftritt begeisterte Gret Palucca ein hingebungsvolles Publikum und regte Intellektuelle zum Theoretisieren sowie Maler zum Zeichnen an.
The New German Dance – der moderne Ausdruckstanz – war auf seinem Höhepunkt, als 1933 die Nazis, die Macht ergriffen. Gret Palucca gehörte ebenso wie ihre einstige Förderin Mary Wigman zu denjenigen Künstlern, die als unpolitisch galten und sich deshalb dafür entschieden, in ihrem Heimatland zu bleiben. Eine Entscheidung, die dennoch Konsequenzen hatte. Als „deutscheste Tänzerin“ wurde Palucca im Dritten Reich mit offenen Armen empfangen. Im Eröffnungsprogramm der Olympischen Spiele, das von Leni Riefenstahl choreografiert wurde, hatte sie einen gefeierten Solo-Auftritt. Doch schon wenig später wurde sie als Halbjüdin eingestuft und von den Nazis fallengelassen. Sie musste 1939 ihre Schule schließen und wurde aus allen Programmen von Reich und Partei gestrichen.
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Die DDR wirbt um den Star
Im Feuersturm von Dresden verlor Gret Palucca 1945 ihr geliebtes Haus an der Bürgerwiese 25 und musste nochmal ganz von vorn beginnen. Doch die mittlerweile 43-Jährige war eine Kämpfernatur und wiedereröffnet ihre Tanzschule noch im selben Jahr. Nur vier Jahre später wurde die Palucca-Schule als „Fachschule für Künstlerischen Tanz“ verstaatlicht und die Tänzerin Teil der DDR-Kultur. Allerdings nicht ohne auch hier die Zähne zu zeigen.
Expressionistischer Tanz war in der DDR – wie im ganzen Ostblock – unerwünscht und das klassische Ballett sollte nach sowjetischem Modell unterrichtet werden. Auch deshalb verließ Gret Palucca 1959 die DDR, reiste nach Sylt in Westdeutschland, nur um dort die Bedingungen ihrer Rückkehr zu verhandeln. Gemäß der „Bedeutung ihrer Arbeit und ihres internationalen Rufes“ (Palucca) sei ihr die künstlerische Leitung der Tanzschule, eine Professur, ein Auto mit Chauffeur und ein Haus auf Hiddensee zu übertragen. Die SED-Führung stimmte zu und verlieh der parteilosen Tanzrebellin 1960 den vormals verweigerten Nationalpreis.
„Niemand weiß, wer Palucca war, ist oder sein wird“
Bereits 1951 hatte Gret Palucca zur Feier des 75. Geburtstages von Wilhelm Pieck ihren letzten Auftritt als Solo-Tänzerin, da war sie erst 49. Doch auch nach dem Ende ihrer Tanzkarriere blieb sie wirkmächtig und einflussreich. In der DDR erzog sie Generationen von Tänzern, bildete offiziell Pädagogen und mehr heimlich als offiziell auch Choreografen aus. Diese „Palucca-Schüler“ sollten später das Gesicht des Tanztheaters in der DDR entscheidend prägen.
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Nach einem turbulenten Leben verstarb Gret Palucca 1993 im St.-Joseph-Krankenhaus in Dresden. Ihre letzte Ruhe fand sie auf dem Friedhof in Kloster auf Hiddensee, ganz in der Nähe ihres geliebten Ferienhauses. Auf einem Findling findet sich lediglich ihr weltberühmter Künstlername in Großbuchstaben PALUCCA. Mehr sollte die Nachwelt nicht wissen über sie. Gret Paluccas bekannteste Schülerin, Ruth Berghaus, kreierte einst den legendären Ausspruch: „Niemand weiß, wer Palucca war, ist oder sein wird.“ Das galt vor allem aber für ihr Privatleben. Denn die Palucca University of Dance ist heute eine der führenden Akademien für junge Tänzer in Europa und führt das Erbe dieser starken Frau in unsere Zeit fort.
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freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin