Ihre Schönheit, ihr Intellekt, der unabhängige Geist und ein legendärer Jähzorn machten die Cosel zu einer Ausnahmeerscheinung und zur einzigen und großen Liebe des sächsischen „Herkules“. Ihr unbändiger Geist rief später die einflussreichen Berater Augusts auf den Plan. Mit 36 Jahren fiel sie in Ungnade und verbrachte die noch verbleibenden 49 Jahre ihres Lebens in Festungshaft auf der sächsischen Burg Stolpen.
Eine schicksalhafte Begegnung
Es ist die schicksalhafte Begegnung zweier außergewöhnlich starker Persönlichkeiten. 1704 bricht kurz vor der Eröffnung des großen Balls am Dresdner Fürstenhof in der Kreuzgasse der Elbestadt ein Feuer aus, welches schon bald das ganze Viertel bedroht. Kurfürst August von Sachsen, später von den Preußen mit dem Beinamen „der Starke“ betitelt, eilt zum Ort der Katastrophe und entdeckt unter den löschenden Personen eine ebenso hübsche wie tatkräftige Dame: Es ist die Noch-Ehefrau seines Kabinettsdirektors Adolph Magnus Freiherr von Hoym, Anna Constantia. Zeitzeugen berichten, der umtriebige Regent hätte sich auf der Stelle verliebt. Fakt ist: August und die später von ihm zur Reichsgräfin von Cosel ernannte Constantia werden DAS Traumpaar des Barocks und ihre Liebesgeschichte schnell zur Legende. Als einzige der zahllosen Mätressen des sächsischen Kurfürsten und Königs von Polen wird Constantia in die Geschichte eingehen.
Das Frollein vom Lande
Begonnen hat die Geschichte Anna Constantias im Norden, in Holstein auf Gut Depenau. Die von Brockdorfs sind eines der ältesten Adelsgeschlechter der Gegend, in das die junge Dame am 17. Oktober 1680 hineingeboren wird. Ihr Vater ist Kavallerieoberst im Dienst des dänischen Königs und ein Haudegen alter Schule. Er vermittelt seiner Tochter nicht nur traditionelle Familienideale, sondern bringt ihr auch Reiten und Schießen bei. Später, schon am Hof in Sachsen, wunderten sich die anderen Hofdamen über seltsame Angewohnheiten der Cosel. So soll sie zum Beispiel häufig Pfeife geraucht und sich mit dem Brennen von Schnaps ausgekannt haben. Die Mutter kommt hingegen aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie und setzt auf bürgerliche Tugenden. Unter beider Hand wird Constantia zu einer selbstbewussten jungen Frau erzogen, die schon früh durch ihr Temperament und ihre Schönheit auffällt. Am besten soll sie Karriere an einem der großen Fürstenhöfe in Europa machen.
Dafür wird sie schon mit 14 in Gottdorf das Hoffrollein der Tochter des Herzogs von Holstein. Kurze Zeit später begleitet sie Sophie Amalie auch nach Wolfenbüttel, wo diese den Herzog von Braunschweig und Wolfenbüttel heiratet und Constantia das höfische Leben kennenlernt. Schönheit, Beredsamkeit und ein erstaunliches Selbstbewusstsein erregen schon bald die Aufmerksamkeit der Cavaliere. Einer ihrer größten Verehrer, Adolph Magnus Freiherr von Hoym ist der Kabinettsdirektor des sächsischen Kurfürsten und hilft der Bewunderten schon bald aus einem tiefen Schlamassel. Anna Constantia von Brockdorf ist nämlich schnell schwanger und wird deshalb 1702 zurück zu ihren Eltern geschickt. Doch Freiherr von Holm, deutlich älter und nicht gerade ein Adonis, erkennt die einmalige Chance und hält nach vier Jahren Warten um ihre Hand an. Constantia willigt mehr als erfreut ein und ebnet sich damit den Weg nach Dresden, einer der damals prunkvollsten Residenzstädte Europas.
Anna Constantia riskiert einen weiteren gesellschaftlichen Bankrott
Dresden hat zu dieser Zeit 24.000 Einwohner und ist dreimal so groß wie Wolfenbüttel. Anna Constantia freut sich auf diese neue Erfahrung und darauf, ein großes Haus zu führen. Doch Hoym betrügt sie, was zu dieser Zeit absolut nichts Ungewöhnliches ist. Die junge Freifrau allerdings kann ihren Jähzorn kaum zügeln und riskiert mit bemerkenswertem Selbstbewusstsein ein weiteres Mal den gesellschaftlichen Bankrott. Sie verlangt ganz unverblümt die Scheidung. Zu Hilfe kommt ihr, dass sich eben zum selben Zeitpunkt der Kurfürst höchstselbst in sie verliebt. Der hat gerade eine entscheidende Schlacht gegen den Schwedenkönig verloren und muss auf seinen Königsthron in Warschau verzichten. Ablenkung sucht er nun bei einer neuen Favoritin. Nach einigen Plänkeleien fragt er offiziell bei ihr an, ob sie seine Mätresse werden will. Aber Constantia stellt Bedingungen. Am Hof in Wolfenbüttel hat sie mit eignen Augen gesehen, wie Mätressen anfänglich voller Einfluss waren, um dann um so härter abserviert zu werden. Freiherr von Hoym, der mit dem ungezügelten Wesen seiner Frau Bekanntschaft gemacht hat, warnt den Kurfürsten vor ihrer Egozentrik und Herrschsucht. Doch der ist längst bis in die letzte Haarspitze verliebt.
Das berühmte Heiratsversprechen ist der Anfang vom Ende
Anna Constantia stellt an den Kurfürsten vier unerhörte Forderungen. Er soll ihr bis ans Lebensende eine jährliche Pension von 100.000 Talern zahlen. Er soll sich von seiner ersten Mätresse, der polnischen Fürstin Teschen, trennen. Die gemeinsamen Kinder von Constantia und August sollen volle Legitimation als Kinder des Kurfürsten erhalten. Und August muss Constantia heiraten, für den Fall, dass dessen eigentliche Ehefrau Christiane Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth stirbt. Das ist für eine Mätresse in dieser Zeit völliger Größenwahn – aber genau was den Kraftprotz aus Dresden reizt. Über die Vereinbarungen wird eine Urkunde aufgesetzt und das Dokument in Anna Constantias Heimatgut Depenau im Archiv aufbewahrt. Der Kurfürst scheint Constantia nun völlig zu verfallen. Er baut ihr ein eigenes Palais auf dem Taschenberg, überhäuft sie mit Schmuck und anderen Kostbarkeiten und verleiht ihr ihren später berühmten Titel: Reichsgräfin von Cosel. Und als die nimmt sie die Dinge nun selber in die Hand. Als August nach Warschau abreist, um dort auch die Beziehungen zu Fürstin Teschen wieder aufzuwärmen, reist die Cosel hinterher und lässt ihr Bett direkt neben dem des Kurfürsten aufstellen. Es sind genau diese Aktionen, die August besonders liebt und für die es für ihn keinen Vergleich gibt.
Die Cosel treibt es zu weit
Doch politisch läuft es für den Kurfürsten schlecht. Die Schweden dringen in Sachsen ein und zwingen August zu einem schmählichen Friedensschluss. Die Verhandlungen darüber finden in Leipzig statt und gestalten sich schwierig. Die Cosel ist hochschwanger und wohnt in der kurfürstlichen Wohnung am Markt. Doch August braucht für die Diplomatie seine eigene Ehefrau. Denn für den polnischen Königstitel ist er zum Katholizismus konvertiert. Christiane Eberhardine hingegen ist weiterhin Protestantin, ebenso wie der Schwedenkönig Karl der XXII. Doch die eigentliche Ehefrau lässt sich nicht zur Reise nach Leipzig überzeugen, solange sich nach ihrer Aussage jene Dame dort aufhält, die sich anmaßt zu behaupten, erste Frau in Sachsen zu sein. Die Staatsräson zwingt August dazu, der Cosel die Abreise ans Herz zu legen. Die lässt ihrem Jähzorn und ihrem Temperament freien Lauf und produziert einen lautstarken Skandal. Doch diesmal ist August über das Theater nicht belustigt. Er hat andere Sorgen und ist vom Verhalten Anna Constantias genervt. Es kommt zum ersten Streit.
In all den Turbulenzen gebiert Gräfin Cosel einen toten Sohn und ist darüber so niedergeschlagen, dass sie traurig und erschöpft schwer erkrankt. Das erschüttert wiederum auch August, der fünf Nächte an ihrem Bett wacht und sie danach noch mehr liebt. Er stattet die Cosel nun aus wie eine Königin. Er schenkt ihr 1707 Gut Pillnitz, dass sie zu einem attraktiven Landsitz ausbaut. Und zwei Jahre später ist die Cosel auf ihrem Höhepunkt. August empfängt den dänischen König, um ihn von einem weiteren Feldzug gegen die Schweden zu überzeugen. Anna Constantia ist während der neuntägigen Feiern immer an seiner Seite und bekommt eine Stellung, die vor und nach ihr keine Mätresse in Europa erhält.
August opfert die Cosel für Polen
Doch die Cosel fängt sich an in die Politik einzumischen. Sie ist offen der Meinung, dass sich die Polen einen polnischen König suchen sollen und dass die politischen Abenteuer Augusts außerhalb von Sachsen dem Fürstentum eher schaden als nützen. Ganz anderer Meinung ist da Jakob Heinrich Graf von Flemming, der in Sachsen eigentlich die Regierungsgeschäfte leitet und des Kurfürsten engster Berater ist. Er bewundert die Cosel zwar für ihren Intellekt und ihr Temperament. Sieht sie aber zunehmend als Konkurrentin, der er Größenwahnsinn und Herrschsucht vorwirft. In einer Art Analyse schreibt der Graf über seine Konkurrentin: „Sie wäre einer perfekte erste Frau im Land, wenn sie nur jemals ihren Jähzorn besiegen könnte.“ 1709 schlagen die Russen unter Zar Peter dem Großen die Schweden vernichtend und August wird von russischen Gnaden wieder König von Polen, ohne auch nur einen Schuss abgefeuert zu haben. Diesmal will er es aber anders machen, zumal sich auch in Warschau unter den Adligen Widerstand regt und ein polnischer König gefordert wird.
Als August 1710 aus Dresden nach Warschau abreist, ist das Schicksal seiner geliebten Cosel besiegelt. Denn der konvertierte Regent hat längst erkannt, dass die Polen, wenn schon einen ausländischen König, dann wenigstens einen mit einer katholischen Mätresse haben wollen. Und August willigt ein und wählt sich eine neue Favoritin, die zwar kaum die faszinierende Ausstrahlung Anna Constantias hat, dafür aber die Dinge in Warschau beruhigt. Die Cosel wiederum, welche 1712, gerade 33-jährig, dem Kurfürsten das dritte Kind geboren hat, wittert die Gefahr und macht sich ebenfalls auf den Weg zu ihrem Geliebten, um die Dinge für sich wieder ins Lot zu bringen. Doch schon nach wenigen Kilometern wird sie von sächsischen Offizieren aufgehalten. Man zwingt sie nach Dresden zurückzukehren und stellt sie in Pillnitz unter Hausarrest.
Die Preußen liefern die Cosel für 1.000 Deserteure aus
Die zurückgesetzte Mätresse hat freilich noch einen vermeintlichen Trumpf im Ärmel. Sie hält August ihren Vertrag unter die Nase, worauf der diesen zurückfordert. Ein Tauziehen beginnt, in dem die Gräfin Cosel am Ende einsieht, dass sie dabei ist, zu hoch zu pokern. Sie reist nach Depenau, um für August das gefährliche Papier zu beschaffen. Doch dort ist längst ihr Vetter der Chef, der wiederum in der Zitadelle in Spandau als Gefangener der Preußen sitzt und spürt, dass die Urkunde, die sich in seinem Besitz befindet, ihm die Freiheit schenken kann. Zähe Verhandlungen setzen ein, für die Anna Constantia extra nach Berlin reist und viel zu lange bleibt. Augusts Berater überzeugen den Kurfürsten und König davon, dass seine einstige Favoritin mit den Preußen gemeinsame Sache macht und Staatsgeheimnisse verraten hat. Für August wächst sich die Sache zu einer Staatsaffäre aus. August stellt ein Auslieferungsgesuch an den preußischen König und bietet für seine abtrünnige Gräfin 1000 Deserteure, die sich von Preußen nach Sachsen geflüchtet hatten. Der preußische König Friedrich der I. willigt ein und lässt Anna Constantia im preußischen Halle festsetzen. Dort wird sie Opfer zahlreicher Demütigungen und wohl auch mehrfach vergewaltigt. Nach langer Krankheit wird sie letztlich auf die Burg Stolpen gebracht, wo das letzte lange Kapitel ihres schillernden Lebens anbrechen wird.
Von 70 Soldaten und Offizieren bewacht
Für die am Hofe von Sachsen immer noch gefürchtete Reichsgräfin wird auf Burg Stolpen Festungshaft angeordnet Dort wird sie von 70 Soldaten und Offizieren bewacht und versucht in langen Briefen August davon zu überzeugen, das Opfer eines Ränkespiels geworden zu sein. Sie zieht noch einmal alle Register, besticht und umgarnt Boten und Wachpersonal. Doch auch August scheint das unbezähmbare Wesen seiner großen Liebe zunehmend Angst zu bereiten. Er enteignet die Cosel komplett, lässt aber den allergrößten Teil ihrer Besitztümer den gemeinsamen Kindern zukommen. Nach zehn Jahren Haft kommt es zu einer letzten Begegnung. August lässt in der Nähe von Burg Stolpen ein Manöver abhalten. Wohl auch, wie es einige Berater annehmen, aus Sehnsucht nach seiner großen Liebe. Der mittlerweile schwer kranke August sei, so wird vermutet, gekommen, um ihr die Freiheit zu schenken. Doch die, das macht sie ihm unmissverständlich klar, würde auch weiterhin um ihn und ihre Rehabilitierung kämpfen. Das Risiko weiterer Skandale ist zu groß. August reist ab, ohne dass die beiden sich noch einmal unter vier Augen gesprochen hätten. Ein weiteres Wiedersehen wird es nicht mehr geben.
Selbstbewußte Ironie bis zum Ende
1733 stirbt August der Starke mit 63 Jahren in Warschau. Noch einmal hofft Gräfin Cosel auf eine Freilassung. Doch auch 16 Jahre nach ihrer Festsetzung gibt es keine Gnade. Augusts Sohn lässt sie weiter auf Burg Stolpen schmoren, erlaubt aber, dass ihre Kinder sie mehrfach im Jahr besuchen dürfen. Am Ende verbringt Anna Constantia Reichsgräfin von Cosel 49 Jahre auf Stolpen, ohne die Burg jemals wieder verlassen zu haben. Sie stirbt 1765 als 85-jährige unbezwungene Frau. Ihr ungestümes, leidenschaftliches und selbstbewusstes Temperament soll sie bis zum Schluss nicht verlassen haben. Auf der von ihr selbst verfassten Inschrift auf ihrem Sarg heißt es: „Hier ruht in Gott und erwartet die fröhliche Auferstehung, die hochgeborene Frau Anna Constantia Reichsgräfin von Cosel“.
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin