Seit 2009 ist der gebürtige Schwabe in Elbflorenz. Er hat in dieser Zeit vier Meisterschaften, vier Mal den Pokal und ein Mal den Europapokal im Challenge-Cup gewonnen. Das könnten neun gute Gründe sein, um vielleicht weiterzuziehen. Doch Waibl sieht das Ende seiner Zeit als Trainer des DSC noch nicht gekommen. Was ihn hält, verrät er in diesem sehr persönlichen Interview, bei dem die Sprache auch auf die Gemeinsamkeiten zwischen Sachsen und Schwaben kommt, warum sein Sohn „ölf“ statt elf sagt, was ihn am Volleyballpublikum manchmal nervt und was seine Liebe für Sachsen und Dresden mit dem Kalten Krieg zu tun hat.
Alexander Waibl im Interview
CarlMarie: Herr Waibl, haben Sie die Meisterschaft, die Sie mit einem 3:2 nach Siegen bei einem 0:2-Rückstand gewonnen haben, schon verarbeitet? Für dünne Nerven war das ja nichts.
Alexander Waibl: (lacht) So langsam komme ich runter.
CarlMarie: Wie emotional ist es denn gewesen, immerhin waren Fans ja nicht anwesend?
Alexander Waibl: In dem Moment, als das Spiel abgepfiffen war, hatte ich nicht das Gefühl, dass was fehlt. Jeder Sportler macht das, was er tut, erst einmal für sich und seine Kollegen.
CarlMarie: Der Augenblick gehört dem sportlichen Triumph?
Alexander Waibl: Ich will nicht missverstanden werden. Jede Emotion im Team wird durch die Fans verstärkt, in beide Richtungen: Missbilligung und Zustimmung. Aber das ist nicht alles, was ein Sportler braucht. Er oder sie arbeiten in erster Linie für eine bestimmte Leistung, und wenn er die abgerufen hat, kommen die Glücksmomente. Das wird nicht getrübt, wenn nicht Tausend Leute dabei sind. Aber wenn sie da sind, ist das ein wunderschönes Extra.
CarlMarie: Während des fünften Spiels gegen Stuttgart hatte sich eine Gruppe Fans auf der Terrasse vor der Halle in Dresden eingefunden und eine Menge Stimmung gemacht. Wie fanden Sie das?
Alexander Waibl: Das war eine sehr schöne Aktion!
CarlMarie: Drinnen in der Halle aber war es leer. Wie hat sich das für Sie angefühlt?
Alexander Waibl: Es waren ja ein paar wenige Leute da, Mitarbeiter etc. Mit denen war es dann nochmal besonders intensiv. Mit denen haben wir gefeiert. Was daran sehr speziell war: Wir hatten die Halle für ein paar Stunden für uns und konnten den Erfolg zusammen genießen. Das ist normalerweise ja nicht so. Da strömen hunderte Menschen aufs Feld – Fans, Freunde, Familie, Sponsoren etc. Jeder auseinander und feiert den Augenblick mit jemand anderem. Dieses Mal waren wir nur unter uns, und das war sehr intim und intensiv. Wie immer im Leben haben alle Dinge ihre guten Seiten und Nachteile.
CarlMarie: Was sind die Nachteile?
Alexander Waibl: Der Zuschauer verstärkt Situationen im Guten wie im Schlechten. Wir mussten lernen, ohne den Funken auszukommen, der von Tribünen ausgeht. So sollte es eigentlich immer sein, man sollte als Sportler von innen glühen – intrinsisch motiviert, wie man sagt. Wenn du das kannst, bist du mit Zuschauern natürlich noch besser, aber ohne auch sehr gut.
CarlMarie: Der Fan, das unberechenbare Wesen?
Alexander Waibl: Na klar, wie in allen Sportarten. Es sind zwei Welten, die sich da begegnen. Die des Sports mit seinem Fachwissen, der Expertise, und eine zweite der Emotionen, wo Menschen zu Hause sind, die oft meinen, sie würden genau wissen, was da vor ihnen gerade passiert. Ich denke aber, dass zumindest im Volleyball sehr viele Zuschauer nicht genau verstehen, was gerade vor sich geht.
CarlMarie: Woher kommt das?
Alexander Waibl: Es liegt in der Natur der Sache. Der Leistungssport ist mittlerweile eine Wissenschaft für sich. Da spielen so viele Aspekte eine Rolle, die einfließen, warum wir Trainer welche Entscheidung fällen. Das kann von außen gar niemand wissen. Das ist nicht schlimm, aber beide Welten sollten das übereinander wissen.
CarlMarie: Können Sie ein Beispiel nennen?
Alexander Waibl: Ich brauche zum Beispiel immer drei Spielerinnen, die in der Lage sind, den Ball anzunehmen, wenn der Gegner aufschlägt. Es gibt die Libera: Die muss die Qualifikation haben, die Hälfte des Feldes anzunehmen. Und dann gibt es die beiden Außenspielerinnen. Eine der beiden kann aufgrund ihrer Fähigkeiten ein bisschen mehr annehmen, die andere etwas weniger; das sollte dann die sein, die besser angreift. So ergeben sich Rollen und eine Raumaufteilung. Die eine nimmt 1,50 Meter an, die andere 4,50 Meter. Daraus ergeben sich bestimmte Aufstellungen. Der Fan aber kann das meist gar nicht einschätzen und wundert sich, warum die eine mehr als die andere spielt oder diese rausgeht und dafür eine andere kommt. Ich kann aber zum Beispiel nicht zwei nebeneinander spielen lassen, die nur ein Feld von 1,50 Meter spielen können. Zumindest nicht erfolgreich (lacht).
CarlMarie: Wie könnte man das ändern?
Alexander Waibl: Wir haben in der Vergangenheit immer mal Workshops angeboten. Meist kamen so 50, 60 Leute. Dann haben wir zum Beispiel eine Spielvorbereitung genommen und erklärt, womit wir uns auseinandersetzen. Einige wussten nicht, wie viele Spielerwechsel wir vornehmen dürfen. Wie gesagt, das ist nicht schlimm, es würde nur manchmal helfen, wenn der Zuschauer besser nachvollziehen könnte, was wir warum gerade planen oder machen.
CarlMarie: Fühlen Sie Ihre Arbeit in Dresden wertgeschätzt?
Alexander Waibl: Ja. Ich bin seit 2009 da. Wir haben in dieser Zeit neun Titel gewonnen, der Verein insgesamt 13. Wir wirtschaften als Ostverein ohne große Sponsoren immer auf der letzten Rille. Also müssen wir manchmal auch kürzertreten. Das führt dann eben zu Substanzverlust in der Mannschaft. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann wäre das, dass man das nicht vergisst.
CarlMarie: Hatten Sie in den letzten Jahren mal das Gefühl, mir reicht es in Dresden?
Alexander Waibl: Manchmal ja. Erfolge werden schnell vergessen beziehungsweise führen zu teils unangemessenen Erwartungshaltungen. Dazu kommt, dass die fußballspezifischen Personalmechanismen dazu führen, dass Menschen denken, dass Veränderungen dazu gehören und diese dann eher mal eingefordert werden, obwohl eigentlich jeder weiß, dass Kontinuität und Nachhaltigkeit langfristig erfolgreicher sind. Als wir dann ein einziges Mal in 10 Jahren das Playoffhalbfinale verpasst hatten kam dann aus Teilen der Fanszene das Thema auf: Der Trainer ist schon lange da, wir brauchen mal einen Wechsel. Mir ist bewusst, dass das zu meinem Beruf gehört und manche Menschen so ticken, aber dennoch ging es mir auf die Nerven (lacht). Im Jahr danach haben wir den Pokal und ein weiteres Jahr danach die Meisterschaft gewonnen.
CarlMarie: Warum sind Sie geblieben?
Alexander Waibl: Ich hänge an diesem Verein. Das ist erst mein dritter Klub. Ich bin immer lange an einem Ort und verbinde mich emotional. Und wir haben hier mit eingeschränkten Mitteln etwas Großartiges aufgebaut.
CarlMarie: Was wünschen Sie sich?
Alexander Waibl: Etwas mehr Respekt vor der Arbeit von uns Trainern allgemein. Wir haben Familien zu ernähren, das sollte man bei aller Kritik oder bloßer Lust auf Veränderung nicht vergessen.
CarlMarie: Wie ist der Dresdner Volleyballfan eigentlich: fordernd, nölig, treu, liebenswert?
Alexander Waibl: (lacht) Er kann fordernd und nölig sein. Aber das Publikum ist sehr treu und damit sehr emotional. Und er ist erfolgsverwöhnt, was ja gut ist, ich möchte mich nicht beklagen.
CarlMarie: Unterscheidet er sich von anderen Volleyballfans?
Alexander Waibl: Wenn es super läuft, sind die Fans bei uns enorm engagiert. Und wenn nicht, dann eben auch entsprechend kritisch. (lacht) Da ist der Sachse dem Schwaben ziemlich ähnlich.
CarlMarie: Eine Vorliebe für Spätzle meinen Sie damit aber nicht?
Alexander Waibl: (lacht) Nein, aber das geht schon in die richtige Richtung. Wenn es dem Schwaben geschmeckt hat, sagt er: „Man hat’s essen können.“
CarlMarie: Fühlen Sie sich eigentlich noch als Schwabe nach so vielen Jahren in der Fremde?
Alexander Waibl: Ich werde immer Schwabe bleiben, aber ein bisschen Sachse bin ich schon auch. Man hört es manchmal, wenn ich spreche.
CarlMarie: Was haben die vielen Jahre in Dresden an Ihnen noch verändert?
Alexander Waibl: Gar nicht so viel, aber ich nehme wahr, dass die Menschen sich in den letzten Jahren verändert haben. Als ich 2009 kam, habe ich die Menschen fröhlicher, leichter, geselliger, lebensfroher erlebt. Jetzt ist es ein wenig so, wie es früher im Westen war. Jeder fährt ein bisschen die Ellenbogen aus und wirkt gestresster. Es fehlt das Leichte, Gemeinsame. Die Pandemie hat das verschärft.
CarlMarie: Aber ein Kännchen Kaffee und ne Eierschecke oder Plinse wissen Sie zu schätzen?
Alexander Waibl: Meine Frau ist aus der Lausitz, meine beiden Kinder sind hier geboren, obwohl ich gucken muss, dass die nicht zu sehr sächseln; mein Kleiner sagt „ölf“ statt elf. (lacht) Das bedeutet also viel Heimat für mich. Und ich hatte schon als geschichtsinteressierter junger Mensch eine Affinität für Dresden. Ich habe immer von der Wiedervereinigung geträumt. Ich kann das nicht genau beschreiben, aber es ist kein Zufall, dass ich hier bin. (lacht) Und ja, ich weiß eine Eierschecke genauso zu schätzen wie das Umland, auch wenn ich vergangenes Jahr zugeben musste, dass ich mich gar nicht so gut auskenne. Also bin ich zur Bastei gewandert. Das ist ein sehr schöner Landstrich hier mit vielen tollen Menschen.
CarlMarie: Was ist mit der Plinse?
Alexander Waibl: Sagen wir, ich weiß, was eine Plinse ist. Das ist echt witzig. Im Schwäbischen sagt man Berliner, hier Pfannkuchen und zu Pfannkuchen Eierkuchen – oder eben Plinse. Da treffen Weltanschauungen aufeinander.
CarlMarie: Dass mit Plinse jemand bezeichnet wird, der ungeschickt ist, das wissen Sie auch?
Alexander Waibl: Ja. Das haben wir früher auch benutzt. (lacht) Ich wusste nur nicht, dass man das essen kann.
CarlMarie: Wie ist es mit der Mundart?
Alexander Waibl: (lacht) Ich weiß, was ’ne Hitsche (Hocker) ist.
CarlMarie: Haben Sie Lieblingsorte in Dresden?
Alexander Waibl: Ich bin immer noch wie ein Tourist unterwegs. Ich liebe die Region um den Theaterplatz, den Zwinger, die Semperoper, den Hausmannturm, die Brühlsche Terrasse. Jedes Mal, wenn ich über die Elb-Brücke fahre, ist der Anblick der Altstadt wunderschön. Ansonsten bin ich eher im Wald oder mit den Kindern draußen unterwegs.
CarlMarie: Könnten Sie sich vorstellen, in Italien oder der Türkei zu arbeiten, wo man noch ein bisschen besser Volleyball spielt als hier und mehr verdienen kann?
Alexander Waibl: Ich bin immer offen für andere sportliche Herausforderungen, weil ich mich immer frage, ob ich noch Lust auf das habe, was ich tue. Es muss aber nicht das Ausland sein. Ich habe mich schon auch immer mal gefragt, ob ich nicht irgendwann Lust hätte, nach Stuttgart zurückzugehen. Für den Moment aber bin ich hier sehr glücklich.
CarlMarie: Herr Waibl, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin