Das Schöne der Baumwolle sind seine Samenhaare, die weiß und flauschig aus einer Kapsel hervorquellen, ehe sie geerntet und weiterverarbeitet werden. Und es sind ihre wundervollen Eigenschaften, die wir bei unseren Hemden, Jeans, Pullovern, Unterhemden Handtüchern, der Bettwäsche und auch unseren Dessous so zu schätzen wissen – das Weiche, das Feste und ihre große Saugfähigkeit.
Doch keine Naturfaser, weder Flachs, noch Hanf, noch Leinen, steht ebenso für die problematischen Seiten der modernen Textilindustrie. Baumwoll-Produkte im neuen Jahrtausend – das bedeutet auch: das Austrocknen ganzer Landstriche. Die Unterbezahlung von Bauern und Pflückern. Den schädlichen Einsatz von Pestiziden beim Anbau und von Chemikalien bei der Veredelung. Ausbeutung von Näherinnen und Nähern in Indien oder Bangladesch. Kinderarbeit.
Was sind wir bereit zu zahlen für ein Kleidungsstück aus Baumwolle: 6,99 Euro für ein farbiges Unterhemd aus 100 % Cotton Made in China? Das ist die zentrale Frage, die mitten hinein führt in das Thema Baumwolle, das seit über 5000 Jahren schon die Menschen beschäftigt und begleitet.
Sunny Magazin beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema. Warum ist die Baumwolle das Lieblingskind der Bekleidungsindustrie? Warum steht sie dem Hibiskus so nah? Wie viel Wasser wird für den Rohfasergegenwert eines T-Shirts verbraucht? Welche Chemikalien und wie viele davon kommen zum Einsatz, bis ein Unterhemd in unserem Wäscheschrank liegt? Und lohnt es sich, auf Bio-Baumwolle zu setzen – auch wenn ein Unterhemd dann keine 6,99 Euro mehr kostet?
Was ist Baumwolle?
Baumwolle (wissenschaftlich Gossypium, frz. coton, englisch cotton, im Deutschen früher auch als Kattun bekannt), wächst als kleiner Busch – und nicht als Baum! – in den feuchtwarmen Gebieten der Tropen und Subtropen. Stellen Sie sich eine Hibiskusblüte vor, und Sie wissen in etwa, wie die Blüte einer Baumwollpflanze aussieht. Das ist kein Zufall, denn beide gehören zur Familie der Malvengewächse. An die 300 Arten gibt es, aber nur vier werden landwirtschaftlich genutzt.
Von der Saat bis zur Blüte benötigt die Baumwolle etwa zwölf Wochen. In dieser Zeit mag sie es vor allem feucht. Danach vergehen noch einmal 50 Tage. Warm und trocken muss es jetzt sein – und aus der Blüte entsteht eine Kapsel, die aufspringt, wenn sie reif ist. Hervor quillt ein etwa faustgroßer Wattebausch. Das sind die Haare der ca. 20 bis 40 Samenkörner. Bis zu 7000 Haare hängen an einem Korn. Die langen Haare (bis zu 40 Millimeter) nennt man Lint, ihr Maß wird in Stapellänge angegeben. Daraus entsteht das Baumwollgarn. Sind die Haare kurz, etwa fünf bis zehn Tage nach der Blüte, werden sie Linters genannt. Sie kann man nicht verspinnen, werden aber gern zu Zellulose verarbeitet.
Übrigens, die vielen Haare sind keine Laune der Natur. Mit ihnen kann der Samen weit fliegen und prächtig keimen. Die Baumwollfasern sind nämlich auch hervorragende Wasserspeicher.
Dessous und Baumwolle – geht das zusammen?
Lange Zeit nicht. Produkte aus Baumwolle für unten drunter galten lange als Liebestöter par excellence. Aber die Ansichten haben sich gewandelt. Den besonderen Eigenschaften der Baumwolle sei Dank! Denn hygienischer geht es kaum. Baumwolle ist hautverträglich, weich und äußerst saugfähig, was vor allem der Hygiene im Schambereich zugute kommt. Zwar gilt immer noch, dass Seide, Satin oder Spitze nun einfach mal schöner aussieht. Und synthetischer Fasern sind weit elastischer als Baumwolle. Aber einerseits: die Mischung macht’s. So kommen immer öfter Baumwollmixturen mit Viskose, Polyester und Elasthan zum Einsatz. So etwa beim Bahia Hüft-String der Marke Aubade, dessen Vorder- und Hinterteil-Dreiecke aus zart bestickter Baumwolle (80 %) bestehen. Auch bei seinen BHs setzt Aubade auf die uralte Naturfaser.
Und für Funktionsunterwäsche heißt es gerade sowieso: nichts geht über Baumwolle, wie die Produkte der Marken Mey, Calida oder Hanro verdeutlichen.
Was macht Baumwolle so besonders?
Baumwolle zu Textilien zu verarbeiten, ist so alt wie unsere Zivilisationsgeschichte. Drei erste voneinander unabhängige Kultivierungszentren werden angenommen: Indien, die nördlichen Anden (Peru und Ekuador) und Mittelamerika sowie der Südwesten Nordamerikas. Auf 6000 Jahre v. Chr. wurden Funde in Indien datiert. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot (480/490 bis 429 v. Chr.) notierte: „Es gibt wild wachsende Bäume, aus deren Frucht man eine Wolle gewinnen kann, die die Schönheit und Qualität der Schafwolle weit übertrifft. Die Inder machen aus dieser Baumwolle ihre Kleider.“
Es waren die Qualitäten der puscheligen Samenfaser, die so früh so sehr die Menschen begeisterten. Die Farbe war davon eine. Sie reichte von cremigweiß über grau bis hin zu farbigen Varianten. Die Pima-Baumwolle etwa in Peru gab es in vielen Tönen. Mit den Jahrhunderten gingen sie verloren, werden jetzt aber wieder kultiviert. Es gibt sie in Grün und Braun.
Vor allem aber schätzte man ihre anderen Eigenschaften. Baumwolle kann bis zu 20 Prozent ihres Gewichts an Wasser aufnehmen, ohne nass zu wirken. Erst ab 65 Prozent fängt sie an zu tropfen. Baumwolle ist auch besonders reißfest, nass übrigens besser als trocken. Man kann sie deshalb sehr gut waschen. Sie ist außerdem: weich, luftig, leicht, atmungsaktiv. Sie kratzt nicht, sie verfilzt nicht, sie lädt sich nicht elektrostatisch auf und sie hat kaum Allergiepotenzial. Baumwolle kann, wenn sie weiß oder farbecht ist, sogar gekocht und bei bis zu 200 Grad gebügelt werden.
Klingt nach einer Wunderfaser, oder? Das allerdings ist sie nicht. Natürlich hat Baumwolle auch ein paar Nachteile. Im Naturzustand knittert sie, ist wenig elastisch und läuft gern ein.
Welche Arten gibt es?
Man mag es kaum glauben, aber der Geruch der Baumwolle ist ein Faktor, nach dem ihre Güte messen wird. Auch die Farbe und Reinheit der Faser spielt eine Rolle. Dennoch, das Maß aller Dinge ist die Stapellänge. Sie entscheidet primär über die Rangliste der vier Arten, die hauptsächlich angebaut und verwertet werden. Zwei dieser Arten stammen aus der Alten Welt, zwei aus der Neuen. Die zwei Alte-Welt-Sorten sind Gossypium herbaceum L. (die sog. Levante-Baumwolle) und G. arboreum L. (auch als Tree cotton bekannt). Die beiden aus der Neuen Welt sind G. hirsutum (sog. Hochland-Baumwolle) und G. barbadense (Sea Island, ägyptische Mako-Baumwolle und Pima).
Welche Art also hat die schönste, die längste Faser? Es ist G. barbaddense (bis zu 32 Millimeter). Sie macht bis zu acht Prozent des Welthandels aus. Mehr aber auch nicht. Sie ist nämlich auch die anspruchsvollste Art und kann meist nur unter künstlichen Bedingungen angebaut werden.
Mit 90 Prozent ist deshalb G. hirsutum die meistgenutzte Baumwolle (bis zu 30 Millimeter). Sie ist anspruchloser. An dritter und vierter Stelle rangieren G. arboreum und G. herbaceum (unter 25 Millimeter). Sie machen zwei Prozent des Welthandels aus.
Ein Wort noch zur Pima-Baumwolle., die schon von den südamerikanischen Inkas vor über 3000 Jahren angebaut wurde. An vielen Stellen wird die aus Peru stammende Baumwollart als die edelste unter ihren Schwestern bezeichnet – und sorgt gerade allerorten für Furore. Das stimmt weitgehend. Siehe ihre Faserlänge. Oft wird sie auch mit der Hand gepflückt, was sicherstellt, dass später keine unreifen Samenfasern versponnen wurden. Aber edel ist sie eigentlich aus einem anderen Grund. Es gibt sie nämlich nicht nur in weiß, sondern auch in anderen farbigen Varianten. Und diese Farben verbleichen nicht, sondern werden mit jedem Waschen intensiver.
Was wäre das für eine Alternative zum chemischen Färben der weißen Baumwolle, durch das unsere Umwelt so stark belastet wird? Leider werden die meisten farbigen Varianten heute nicht mehr kultiviert. Angebaut werden nur noch Grün und Braun.
Wie wird Baumwolle angebaut?
Ginge es nach der Natur, dann würde eine Baumwollpflanze nach der Ernte nicht gleich aus dem Boden gerissen. Sie ist nämlich mehrjährig. In der Landwirtschaft belässt man sie aber nur eine Saison im Boden, um das Beste aus ihr herauszuholen. Nördlich des Äquators wird abhängig vom Standort zwischen Februar und Juni ausgesät. Gute acht Monate später wird geerntet.
Angebaut wird auf zwei Weisen. Von Kleinbauern per Hand. Und industriell.
Beides hat Vor- und Nachteile. Je kleiner der Umfang der Felder und Plantagen, desto qualitativ besser ist meist der Ertrag. Denn die Baumwollkapseln reifen ungleichmäßig. Sie müssen also mehrmals geerntet werden. Mit der Hand ist das kein Problem, es werden nur die Samen entfernt, die reif sind. Eine Erntemaschine kann den Reifegrad nicht unterscheiden. Unreife und überreife Samen aber sind qualitativ minderwertig.
Ein weiteres Problem sind die Blätter der Pflanzen. Für die Einmalernten mit Maschinen müssen die Pflanzen laubfrei sein. Dafür wartet man entweder bis nach dem Frost. Oder die Pflanzen werden mit Chemie entlaubt. Für die manuelle Pflücke ist das kein Problem. Sie allerdings ist aufwendiger. Und weniger ertragreich natürlich. Per Hand werden je Hektar ungefähr 200 Kilogramm geerntet. Mit der Maschine sind es bis zu 3000 Kilogramm.
Das weithin größte Problem bei beiden Varianten stellt allerdings der Umgang mit den Ressourcen für den Anbau dar. Zum einen: Die meisten Felder werden monokulturell bewirtschaftet. Dadurch kann der Boden sich nicht erholen und erodiert mit der Zeit. Und sie werden oft künstlich bewässert, denn Baumwolle mag es während der Blütezeit zwar feucht und warm, Nässe aber schädigt während der Reife die Samenfaser-Qualität. Deshalb wird vorwiegend in trockenen, wasserarmen Gebieten gepflanzt.
Wo wächst Baumwolle?
Das, was die Baumwolle zu wachsen und reifen braucht, schränkt die Anbaugebiete ein auf die Tropen und Subtropen. Wo es feucht und warm ist. Oder warm und trocken. Angebaut wird also bis zum 43. Breitengrad nördlich des Äquators. Und bis zum 36. Breitengrad Süd. Weil das sich wie ein Band um den Erdball schlingt, werden die Pflanzregionen auch Cotton-Belt genannt, Baumwoll-Gürtel.
Auf dem 36. Breitengrad finden sich die Orte Concepciòn in Chile, das Kap der Guten Hoffnung in Afrika und Auckland in Neuseeland. Im Norden sind das Marseille in Frankreich, die Südspitze des mittlerweile fast ausgetrockneten Aral Sees (siehe das Kapitel um Umweltschäden) in Usbekistan und Kasachstan, Chang chun nördlich von Peking, Sapporo in Japan sowie der Milwaukee-See in den USA. Am meisten angebaut wird Baumwolle in den nördlichen Breitengraden (ca. 85 Prozent des weltweiten Baumwoll-Produktion). Die restlichen Anteile gehen an die Regionen südlich des Äquators (acht bis neun Prozent) und in seiner Nähe. In der Summe ergeben das etwa 36 Millionen Hektar. Das entspricht in etwa der Fläche von Deutschland und ca. 2,4 Prozent der Weltackerfläche. Auf dieser Fläche werden ca. 25 bis 27 Mio. Tonnen Baumwolle geerntet.
Wo (in welchen Ländern) wird sie angebaut?
Keine Textilfaser wird öfter in der Textilindustrie verwendet. Baumwolle deckt 38 Prozent des weltweiten Bedarfs. Und wird in über 80 Ländern der Erde angebaut. Die größten Produzenten sind China, Indien, die USA, Pakistan und Brasilien. Griechenland ist das einzige europäische Land mit einer signifikanten Menge. Gefolgt von Spanien. Die Türkei wird Asien zugerechnet, das seine Anbaugebiete dort liegen.
Das sind die größten Produzenten. Sie ernten zusammen ca. 90 Prozent einer Jahresmenge von ungefähr 25 Millionen Tonnen (Stand 2012):
Indien– 5,3 Mio. t (25,3 %)
USA– 3,6 Mio t (13,9 %)
Pakistan– 2,2 Mio t (8,5 %)
Brasilien– 1,6 Mio t (6,3 %)
Usbekistan– 10,1 Mio t (4,1 %)
Australien– 0,93 Mio t (3,8 %)
Türkei– 0,85 Mio t (3,8 %)
Griechenland– 0,37 Mio t (1,4 %)
Mexiko– 0,22 Mio t (0,2 %)
Dieser Artikel ist Teil I von IV zum Thema Baumwolle.
Hier geht es zu Baumwolle II – Von der Rohware zum Stoff.
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin
1 Kommentar