Elastisch, Plastisch und Fantastisch – Nylon, Perlon, Dederon

Strumpfhosen aus Nylon - Sunny Magazin
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Vor exakt 80 Jahren wurde die Welt der Textilien nahezu zeitgleich in den USA und Deutschland auf den Kopf gestellt. Die Erfindung hieß dort Nylon und hier Perlon - und versprach permanente Verfügbarkeit, Leichtigkeit, Elastizität und eine bis dahin unbekannte Robustheit. Die neue vollsynthetische Faser war anfänglich vor allem für das Militär interessant, brachte seinem Erfinder aber kein Glück, und löste dennoch eine bis heute andauernde textile Revolution aus.

Nylon ist mittlerweile überall. Zunächst in den Borsten der Zahnbürste verarbeitet, begann es seinen Siegeszug um die Welt vor allem in Form der Damenstrumpfhose. Doch alles begann mit einer „Wissenschaftsoffensive“ der Forschungsabteilung des amerikanischen Konzerns DuPont, dem Weltmarktführer in Sachen „Rayon“ (im europäischen Raum auch als Viskose bekannt). 1926 hatte man dort entschieden stark in rein „wissenschaftliche Grundlagenforschung“ zu investieren und zu diesem Zweck 25 der besten Chemiker des Landes einzustellen. Unter den Auserwählten fand sich auch Wallace H. Carothers, ein junger Harvard-Dozent für organische Chemie wieder. Carothers schlug vor, seine Forschung auf die Polymerisation zu konzentrieren, den Prozess, bei dem einzelne kurze Moleküle langkettige Makromoleküle bilden. Neue Stoffe sollten so auf Grundlage von ziemlich exakten Vorausberechnungen regelrecht designt werden.

Der Vater des Nylon erlebt dessen Siegeszug nicht mehr

Nach fast zehn Jahren mühseliger Forschungsarbeit war dem Team um Carothers mit der „Faser 6,6“ endlich der Durchbruch gelungen. Paul Flory, ein junger physikalischer Chemiker, der später für seine Arbeiten über Polymere den Nobelpreis für Chemie erhielt, half den Forschern, die Reaktion zu stabilisieren, indem er ein mathematisches Modell für die Kinetik der Polymerisationsreaktion entwickelte. Das „Nylon“ war geboren. Doch Carothers konnte den Erfolg nicht genießen. Der 40-Jährige hatte bis 1937 fast 50 Patente angemeldet und zweifelte doch, ob der Misserfolge um seine ersten Superpolymer-Prototypen an seiner Kompetenz. Gefangen in einer Depression nahm er sich zwei Jahre nach der Erfindung des Nylon das Leben.

Hysterie um die Nylonstrumpfhose

Obwohl Nylon erstmals am 28. Februar 1935 in einem Labor von DuPont Chemicals synthetisiert wurde, wurde es erst 1940 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Und löste sofort ein wahre Hysterie, vor allem der Frauen aus. Frauenstrümpfe waren in den späten 1930er Jahren der letzte Schrei. Doch die Weltwirtschaftskrise hatte die japanischen Strumpfhosen aus Seide nahezu unerschwinglich gemacht. 4.000 ausgewählte Frauen hatten schon 1938 zu Testzwecken eine „Nylon“ erhalten und auch die Ehefrauen der DuPont-Wissenschaftler in der Nylonabteilung hatten für die entsprechende Mundpropaganda gesorgt. So war es kein Wunder, dass am 15. Mai – dem ersten Verkaufstag der neuartigen Damenstrumpfhose – der gesamte Bestand an „Nylons“ (etwa fünf Millionen !!!) an den meisten Orten der USA schon um die Mittagszeit ausverkauft war. Bei einem unschlagbar niedrigen Preis von lediglich 1,15 Dollar pro Stück schaffte es DuPont innerhalb von nur 20 Monaten fast 30 Prozent des weltweiten Strumpfhosenmarktes zu erobern.

Der 2. Weltkrieg wird mit Nylon gewonnen

Doch der freie Zugang zu den begehrten Nylonstrümpfen währt nur kurz. Ab 1941 wird die komplette Nylonproduktion von DuPont dem US-Militär zur Verfügung gestellt. Noch 1940 war 90 Prozent des DuPont Nylons in Strümpfe gegangen. Nur ein Jahr später wurden daraus fast ausschliesslich Fallschirme, Segelschleppseile, Treibstofftanks, Flakjacken, Schnürsenkel, Moskitonetze und Hängematten hergestellt. Die auf dem zivilen Markt explodierte Nachfrage kreierte unweigerlich einen Schwarzmarkt. Ein Unternehmer soll alleine deswegen Millionär geworden sein, weil er eine Nylonlieferung zur Strumpfherstellung abgezweigt hatte.

Perlon im Westen und DeDeRon im Osten

Auch in Deutschland war man zu diesem Zeitpunkt dem Nylon auf der Spur. 1938 hatte der deutsche Chemiker Paul Schlack, angestellt bei einer Forschungsabteilung der IG Farben ein nahezu identisches Produkt aus Polyamiden synthetisiert. Doch Schlack findet heraus, dass das Patent dafür kurz vorher von DuPont angemeldet worden war. Er studiert die Patentschrift genau und entscheidet sich mit genau den Substanzen weiterzuarbeiten, die sein Konkurrent Carothers in den USA verworfen hatte. Und tatsächlich, pünktlich zum Kriegsbeginn gelingt ihm die Herstellung eines eigenen Nylongarns. Er nennt es Perlon und schafft es damit, dass sich Deutsche und Amerikaner nach dem Ende des Krieges die weltweite Produktion des neuen Wundertextils aufteilen.

Und ein dritter Mitspieler meldet sich ab den frühen 50er Jahren an. In der DDR waren die meisten Fertigungsanlagen des Perlon als Reparaturleistungen in die Sowjetunion gewandert. Doch das Know How ist dageblieben und nach einem Namensstreit wird im Ostteil Deutschlands 1952 das sogenannte DeDeRon (als Hommage an das Kürzel DDR) auf den Markt gebracht. Nun sollte also auch die Ostfrau endlich einen leichten, bügelfreien Stoff bekommen. Doch so richtig begeistert sind die DDR-Bürger nicht. Lediglich die kunterbunte Kittelschürze aus Dederon wird zu einem zeitlosen Klassiker der ostdeutschen Bekleidungskultur.

Die Nylonkrawalle und das Ende des Hypes

Auch in den USA kommt das Nylon nach dem Krieg zurück in die Läden und löst die so genannten „Nylonkrawalle“ aus. Die amerikanischen Frauen sind so erpicht auf das schmerzlich vermisste Produkt, dass zum Beispiel in Pittsburgh 40.000 Frauen anstehen, um eine von 13.000 Nylonstrumpfhosen zu ergattern. Doch in den frühen 60er Jahren ist die Hochzeit der Synthetikfasern vorbei. Nachdem die Modedesigner bis dahin Nylon erfolgreich in einen futuristischen Look integriert hatten, begannen die Frauen des neuen stetig glänzenden Materials müde zu werden und entdeckten die wachsende Umweltbewegung für sich. Naturfasern wie Wolle und Baumwolle waren jetzt wieder up to date und Nylon und Polyester rückten in den Hintergrund. Noch 1965 machten vollsynthetische Faser 63 Prozent der weltweiten Textilproduktion aus. Anfang der 1970er Jahre waren es noch lediglich 45 Prozent. Und obwohl Nylon & Co in den 1990er Jahren noch einmal ein Comeback feierten, werden sie wohl nie wieder den Textilmarkt so dominieren wie in den 1950er und 1960er Jahren. Doch Nylon ist trotzdem hier um zu bleiben und eigentlich ein zeitloses Material. Zwar ist es nicht mehr die bevorzugte Faser, wenn es um Bekleidung geht, aber es umgibt uns mittlerweile in unseren Häusern, in den Büros, bei Freizeitaktivitäten und in den Transportmitteln. Nylon macht heute noch 12 Prozent der weltweiten Produktion an synthetischen Textilfasern aus und ist mit Sicherheit eine der wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts.