So alt wie einen Samt macht, könne man gar nicht werden, sagen die einen; Samt trage die sanfte Rebellion gegen Konventionen in sich die anderen. Wir von CarlMarie stellen hier einen Stoff vor, der wie kaum ein anderer die Geister scheidet.
Samt – Zeitlos und immer kurz vorm Abstellgleis
Jeder kennt diese Textilien, die irgendwo in alten Schlössern, Kirchen oder Museen vor sich hinmodern. Auch bei Großmutter finden sie sich auf dem Sofa oder im Kino auf den längst verblichenen Sesseln. Meistens sind sie vom ständigen Gebrauch abgewetzt und es lässt sich nur noch ahnen, wie weich und edel sie mal gewirkt haben. Es ist das Schicksal von Samt, irgendwie zeitlos und trotzdem ständig vom Abwracken bedroht zu sein. Jetzt gerade wieder erlebt dieser plüschige und seidenweiche Stoff eine Renaissance, wird in Bademode ebenso verarbeitet wie bei den teuren Kleidern und Anzügen der angesagtesten Fashion-Designer. Da ist es interessant zu erfahren, was Samt (oder wie es auf englisch heißt: Velvet) so besonders macht.
Aufgeschnittene Schlaufen erzeugen den samtweichen Flor
Bis zum 20. Jahrhundert wurde Samt ausschließlich aus Seide produziert. Zwischen zwei Stoffbahnen wird dabei ein weiterer Faden gewirkt. Die Struktur dieses Gewebes wird durch Ketten erzeugt, die über Stäbe oder Drähte gezogen werden, um die für Samt so wichtigen Schlingen herzustellen. Während des Webens werden die Stäbe entfernt. Die entstandenen Schleifen werden nun aufgeschnitten und bilden einen dichten Flor aus aufgeschnittenen Fadenbüscheln. Diese sind meist zwischen zwei bis drei Millimeter lang und glänzen seidig. Seidensamt hat einen wundervollen Glanz und eine große Farbtiefe, und das Aussehen verändert sich, wenn es sich drapiert und faltet und das Licht von den verschiedenen Winkeln reflektiert wird. Velvet mit mehr als einer farbigen Kette verstärkt diesen Effekt.
Von Cordsamt zu Samtbrokat
Bei den verschiedenen Webveredelungen unterscheidet man zwischen folgenden Arten:
- Samtbrokat – hier werden wertvolle Fäden aus Silber oder Gold eingearbeitet und erzeugen ein charakteristisches Muster.
- Schuss- oder Kettsamt – dabei werden gleichnamige zusätzliche Fäden eingearbeitet und verstärken den Samt-Effekt.
- Cordsamt – hier wird der Flor nur von den Schussfäden gebildet. Es entsteht ein dem Cord ähnlicher Stoff.
- Pannesamt – Bei dieser Samt-Art wird der Flor panniert, also mittels Bügeln geglättet. So entwickelt diese Samt-Art nicht nur eine glänzende Oberfläche, es können auch Muster erzeugt werden.
- Flocksamt – ein anderer Name ist der sogenannte „unechte Samt“. Denn hier entstehen keine echten Schlaufen sondern werden durch aufgebrachte Faserflocken nur imitiert.
Jahrhundertealte Geschichte
Der erste Samt wurde nachweislich vor etwa 1.000 Jahren in China hergestellt. Von dort gelangte er über Handelsreisende wie Marco Polo im 14. Jahrhundert nach Italien, wo er schnell zu einem Exportschlager wurde. Schnell waren zum Beispiel in Mailand bis zu 150.000 Samtweber damit beschäftigt, Samt für die Oberschicht herzustellen. Ab dem 16. Jahrhundert breitete sich die Samtproduktion nach ganz Europa aus, wurde zuerst von flämischen Spezialisten nach England und später nach Frankreich, die Niederlande und Deutschland gebracht.
In der Renaissance zählten luxuriöse Samtstoffe aus Seide und Edelmetallfäden zu den wertvollsten Gegenständen, die sowohl Einzelpersonen als auch der Kirche gehörten. Auf Gemälden dieser Zeit trugen die ranghöchsten Figuren der Christenheit, so zum Beispiel Jesumutter Maria, meist Samtgewänder. Samt war der Stoff der höchsten Klassen und nicht umsonst war der Umhang aus besonders schwerem und kostbarem Samt Königen und Königinnen vorbehalten.
Kleidung aus Samt – der Renner am Anfang des 20. Jahrhunderts
Mit der zunehmenden Industrialisierung der Textilproduktion im 19. Jahrhundert wurde auch die Herstellung von Samt einfacher und billiger. Das Textil, welches vorher so eng mit ultimativem Luxus verbunden war, wurde nun auch für das Bürgertum verfügbar. Während der 1920er Jahre kamen zum Beispiel Abendkleider und -tücher schwer in Mode und wurden zum Synonym für den Stil der berühmt, berüchtigten 20er Jahre. Danach versank Samt lange Zeit in der Versenkung und wurde erst in den glamourösen 1970er Jahren wieder aus der Mottenkiste geholt.
Weder sexy noch provokant?
In den damals unruhigen Zeiten schätzte man, so wird es immer wieder gesagt, ein Gefühl der Wärme und der Sicherheit. Dass Samt allerdings auch provokant und sexy sein kann, bewiesen die 1980er Jahre. Gerade die Punk-Bewegung liebte Samt-Applikationen, im besten Fall auch mit Leopardenmuster.
Und gerade jetzt scheint Samt mit seinem oberflächlich gesehen betulichen Charakter wieder schwer in Mode zu kommen. Weiche, drapierte Samtstoffe in süßen Pastelltönen sind ebenso angesagt wie steife, strukturierte Stoffe in kräftigen Farben wie Flaschengrün oder Marineblau.
Bikinis und Badeanzüge sollen heute aus wenigstens samtartigem Stoff sein. Und auch die großen Fashion-Designer haben wieder ihre Liebe zu dem Textil entdeckt, welches noch in den 1970er Jahren zu jeder halbwegs stilvollen Garderobe gehörte.
Ob Valentino, Stella McCartney oder Dries van Noten – Trainingsanzüge, Blusen, Kleider und auch Stiefeletten müssen nun wieder samtenen Glanz ausstrahlen. Und wer einmal seine Hand über einen schönen Samtanzug hat streichen lassen, wird verstehen, dass Samt, dieser so uralte wie top moderne Stoff, nie wirklich aus der Mode geraten wird.
Samt vs. Velours – und was sind eigentlich Velveton und Chenille?
Wenn es um den Kauf von stilvoller Kleidung geht, sollten SIE oder ER schon mal ein bisschen genauer hinsehen, welche Stoffe genau in den hochwertigen Textilien verarbeitet sind. Viele schaffen es noch, wirklich gute Wolle, Baumwolle, Viskose, Polyester oder Seide auseinanderzuhalten. Aber wie ist das Wissen bei „Kuschelstoffen“?
Tatsächlich sind Samt, Velours, Velveton (Baumwollsamt) und Chenille sehr unterschiedlich und die Kenntnisse um die Unterschiede ist für Kleidung und Accessoires können sich als stilrettend erweisen.
Velours – das billige Samt
Velours ist dem Samt ganz ähnlich ein unglaublich weiches Plüschgewebe, welches in der Herstellung allerdings viel billiger ist. Die Fasern folgen beim Darüberfahren der Hand, können faltenlos drapiert werden und zeichnen sich durch ein wunderbar weiches Finish aus. Trotz seiner luxuriösen Verarbeitung wird Velours typischerweise aus Baumwolle oder sogar aus synthetischen Materialien wie Polyester hergestellt. Die charakteristisch weiche Textur auf der Oberfläche des Velours ist als „Flor“ bekannt und wird durch Zerschneiden von geschlungenen Fäden und einem speziellen Webverfahren erreicht.
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Bis in die 1970er Jahre als Möbel-Plüsch verschrien
„Velours“ ist zunächst einmal lediglich das französische Wort für „Samt“. Während der aus Seide hergestellte Samt allerdings bereits vor mehreren hundert Jahren produziert wurde, begann man erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Fertigung des billigeren Schwester-Materials. Aufgrund seiner fast identischen „Kuschelfaktoren“, der allerdings weit kostengünstigeren Fabrikation, erreichte Velours schnell große Popularität und wurde bis in die 1970er Jahre vorzugsweise für Möbelpolster und diverse Haushaltsgegenstände verwendet. Der sogenannte Velours-Tuft wurden so zum Beispiel auch in der Teppichproduktion eingesetzt. Bevor Velours in den 1960er Jahren auch für die Modeindustrie interessant wurde, war es deshalb als sogenannter „Möbel-Plüsch“ verspottet.
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Von den Bee Gees bis zu JLo – Velourss der Fashion-Liebling
Kaum zu glauben, aber in den 1960er und 1970er Jahren wurde Velours nicht nur zum Lieblingsstoff der Fashion-Industrie, sondern galt sogar als eines DER Mode-Statements einer rebellischen Generation. Weich, bequem und farbenfroh war es das komplette Gegenteil zur steifen, maßgeschneiderten Kleidung des Establishments. Selber Mainstream wurde Velours dann durch die Disko-Generation und in Gestalt der samtigen Kuschelanzüge der Bee Gee‘s sowie zahlreiche Trainingsanzugs-Kollektionen von Adidas und anderen Sportartikel-Produzenten. Selbst eine Ikone der 1990er Jahre, Jennifer Lopez, präsentierte in ihrer ersten Bekleidungslinie Trainingsanzüge aus reinem Velours.
Velours: Immer noch up to date?
In der heutigen Modeindustrie feiern „Kuschelstoffe“ gerade mal wieder ein Comeback. Und dennoch setzen die Fashion-Designer nun lieber auf den teuren „echten“ Samt. Velours hingegen gilt vor allem als bequem. Gemütlich und super weich findet es sich in Schlafanzügen, Trainingsbekleidung, Hausschuhen, Leggings und Morgenmänteln. Auch für die Haushaltsindustrie hat es seinen Reiz nicht verloren. Aufgrund stärkerem Verschleiß wird der „billigere“ Stoff hier oft dem reinen Seidensamt vorgezogen.
Velours vs. Samt
Velours und Samt sind sich so ähnlich, dass sie tatsächlich oftmals gar nicht auseinandergehalten werden können. Der Webprozess unterscheidet sich nur geringfügig. Beim Samt wird meist Seide verwendet, bei Velours sind es Baumwolle oder Kunststoffe. Samt hat mehr Glanz als Velours. Das ist dafür umso dehnbarer. Dafür ist Samt dicker und sieht auch bedeutend „teurer“ aus. Der Nachteil von Samt ist, dass er schwer zu reinigen und sehr sensibel gegen Regen und Schnee ist.
Hier nochmal die Vorteile und Nachteile des Velourss kurz zusammengefasst:
Vorteile von Velours:
- deutlich dehnbarer als Samt
- warm
- bequem und lässig
- sehr weich
- luxuriöser Look
- wirft keine Falten
- waschmaschinenfest
Nachteile von Velours:
- weniger glänzend und dünner als Samt
- harte Kanten, die sich stark kräuseln und ausfransen können
- beim Nähen können die Nadeln leicht hängen bleiben
- kann schrumpfen
- absorbiert viel Staub
- bei intensivem Gebrauch verschleißt Velours und verliert seine weiche Oberfläche
Was ist Velveton und was Chenille?
Wenn es um Textilstoffe mit einer kuschelig-weichen Oberfläche geht, werden oftmals auch die Namen Velveton und Chenille genannt. Doch was verbirgt sich hinter diesen exotischen Namen? Velveton (oder englisch: Velveteen) wird gemeinhin auch als „Baumwoll-Samt“ bezeichnet. Hier ist der Flor sehr eng gewoben, niemals tiefer als 3 Millimeter und deshalb auch deutlich steifer als bei Samt oder Velours. Velveton glänzt deutlich weniger als seine edleren Schwesternstoffe, ist in seinen Eigenschaften dem Cord ähnlich und wird aufgrund seiner Härte und Robustheit häufig für Accessoires wie Armbänder verwendet.
Chenille hingegen ist die französische Bezeichnung für „Raupe“ und erinnert mit seinen feinen abstehenden Faden-Enden auch an eine solche. Auch Chenille-Stoffe zählen zu den besonderen Hautschmeichlern und besitzen eine samtähnliche Haptik und Optik. Chenille wird vor allem im Bereich der Badtextilien verwendet. Und dort immer verbreiteter: Immerhin lagen samtene Bikinis und Badeanzüge im vergangenen Sommer voll im Trend.
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin