Das Sachsen-Merino ist eine Rasse, die vor allem in Australien und Neuseeland, den weltweit größten Produzenten von Merino-Vlies, zu Hause ist, deren Vorfahren aber zwischen Halle, Leipzig und Dresden heimisch waren.
Lang ist’s her. Ein Geschenk zwischen Adligen brachte das Merino vor über 250 Jahren von Spanien nach Sachsen und dem heutigen Sachsen-Anhalt. Dort wurde es gekreuzt, gezüchtet und heraus kam ein Schaf, dessen Wolle es mit Seide und Kaschmir aufnehmen kann. Ein Goldenes Vlies in einer einstmals goldenen Ära der deutschen Schafzucht und Wollverarbeitung. Auch das ist mittlerweile Geschichte. Warum, das lassen wir uns für euch von Frau Dr. Regina Walther erzählen. Die mittlerweile 72-Jährige war viele Jahre Chefin des sächsischen Schaf- und Ziegenzuchtverbandes e.V. und ist eine ausgesprochene Kennerin der Geschichte des Merino-Schafes. Angefangen bei einer Hilfsgabe des spanischen Königs an seinen Cousin im Dresdner Kurfürstenpalast, den Kreuzungswegen des Vierbeiners, seiner besonderen Wolle und wie es hierzulande in Vergessenheit geriet, während es am anderen Ende der Welt als Edelschaf fortlebt. Dazu stellen wir dir ein paar wissenswerte Fakten rund um das Saxon-Merino.
Eine Würdigung für das Sachsen-Merino
Interview mit Frau Dr. Regina Walther vom Sächsischen Schaf- und Ziegenzuchtverband e.V.
Frau Dr. Walther, der Begriff „Saxon Merino“ ist keine deutsche Erfindung, oder?
Dr. Regina Walther: Nein. Die Rasse Saxon Merino gab und gibt es nur in Australien. Sie wurde dort nach ihrer Herkunft benannt, und das war Sachsen.
Wie kam es zu dem Ruhm?
Die Geschichte des sächsischen Merino-Schafs reicht bis ins frühe 18. Jahrhundert zurück. Spanien hatte zu diesem Zeitpunkt das europäische Monopol auf Merino-Wolle. Cousin des spanischen Königs Karl III. war Prinz Xaver, der Kurfürst in Sachsen. Aufgrund des Siebenjährigen Krieges lag um 1765 die sächsische Schäferei am Boden. Die Schafbestände waren zum großen Teil aufgegessen, an züchterisch leistungsfähige Schafe war also nicht zu denken.
Die spanische Krone bestrafte zu der Zeit die Ausfuhr von Merino-Schafen mit dem Tod.
Das stimmt. Aber man war unter sich, Familien eben.
Wie kam es zu der ersten Lieferung nach Sachsen?
Nachdem Karl III. die Ausfuhr genehmigt hatte, wurden am 30. April 1765 229 Merino-Schafe in Cadíz eingeschifft und nach Hamburg gebracht. 222 kamen dort am 19. Juni an. Von Hamburg ging es danach weiter auf einem 600 Kilometer langen Fußmarsch nach Stolpen. Das war eine immense Leistung, nur zwei Schafe überlebten den Marsch nicht. Zwei spanische Schäfer betreuten die Wanderung. Sie blieben ein Jahr in Sachsen und schulten die hiesigen Schäfer.
Das sächsische Merinoschaf ist das Ergebnis einer Kreuzung, oder?
Im Prinzig ist das richtig. Das Schaf, das nach Sachsen kam, war das sogenannte Eskurial, benannt nach einem Dorf in Spanien. Ein Vorteil war, dass die 220 Schafe, die in Stolpen anlangten, nicht einfach auf Bauernhöfe verteilt, sondern in Kammer- und Rittergüter züchterisch betreut wurden. Dort wurden reine Merinoböcke mit sächsischen Landschafen verpaart. Darüber hinaus verblieben 16 spanische Böcke und 125 spanische Mutterschafe im Stolpener Tiergarten, die reinrassig verpaart wurden und somit mit ihrer Nachzucht den Grundstock für die erfolgreiche Merinozucht in Sachsen begründeten.
Welche Typen gab es?
Sechs, je nach Zucht und Entwicklung. Den ersten Typ nannte man Elektoral-Schaf. „Elector“ ist der englische Begriff für Kurfürst, weshalb die Engländer das Vlies dieser Schafe auch als kurfürstliche Wolle bezeichneten. Es folgten nach Zuchtrichtung das Negretti, das Eskurial, das Merinotuchwollschaf, das Merinostoffwollschaf und das Merinokammwollschaf. Ab 1862 erfolgte die Einkreuzung von französischen Kammwollschafen.
Was macht die Wolle des sächsischen Merino-Schafes so besonders?
Es ist seine Feinheit. Merino-Wolle ist generell einer der feinsten unter den Schafwollen. Manche Typen können es sogar mit Seide oder Kaschmir aufnehmen, deren Fasern einen Durchmesser von 11.5-15 μm (Mikrometer, auch Mikron genannt, Anmerkung der Redaktion) haben. Diese Feinheit nennt man ultrafein. Eine Kategorie darüber, also 15-18.5 μm, wird als superfein bezeichnet. Diese Feinheit hatte bereits das sächsische Merino Mitte des 19. Jahrhunderts.
Wofür verwendet man es?
Weil es so fein ist, also edel, wird es vor allem im Kammgarn-Sektor eingesetzt. Wenn Sie einen Anzug von über 1000 Euro tragen, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er aus Merino-Kammgarn hergestellt wurde, das man eben auch aus dem Saxon-Merino gewinnt.
Was ist passiert mit dem berühmten Schaf, dass es am anderen Ende der Welt weiterlebt, hier aber so gut wie vergessen ist?
Was mit allem passiert ist, das mit Wolle und Textilindustrie zu tun hat: ihr allgemeiner Niedergang durch die Verschiebung von Produktion, Haltung und Verarbeitung an andere Standorte. Das setzte schon um 1830 durch den Preisverfall für hochfeine Wolle ein. Also strebte man in der Zucht die Kombination von Wolle und Fleisch an. Zudem hatte sich die Weiterverarbeitung der Wolle technologisch fortentwickelt, sprich es ließen sich mehr und mehr auch mittlere Feinheiten verspinnen und verweben. So paradox das klingt, aber das war der letzte notwendige Schritt hin zur eigenen Rasse.
Wie das?
Aus dem zuvor gezüchteten Kammwollmerinoschaf ging das sächsische Merinofleischschaf hervor, das 1903 als selbständige Rasse anerkannt wurde. Sprich, es kam zu einer Mischverwertung von Wolle und Fleisch. In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts begannen sich die betriebswirtschaftlichen Verhältnisse zu ändern. Die in Sachsen stark wachsende Bevölkerung verlangte mehr Rind- und Schweinefleisch, worauf die Betriebe sich einstellten. Auch für die Zucht von Schafen war nicht mehr nur die Wolle, sondern auch das Fleisch gefragt.
Trotzdem setzte man in der DDR weiter vorwiegend auf die Wollerzeugung.
Stimmt. In der DDR existierte eine gut organisierte Textilindustrie, die mit einem hohen Anteil an eigen produzierter Schafwolle versorgt wurde. Das kam dem Merinofleischschaf entgegen, seine Stellung als Rasse war deshalb stabil, während in der Bundesrepublik der Bestand an Merino-Schafen dramatisch zurückging. Vor dem Krieg gab es im Deutschen Reich ca. 4,85 Millionen Schafe, in der Bundesrepublik wurden 1950 noch ca. 1,64 Millionen Schafe gezählt. Diese Zahl halbierte sich bis 1965 auf einen Tiefstand von 790.000. Ganz anders die Entwicklung in der DDR. Dort bildeten Merinofleischschafe 1966 ca. 72 Prozent des Herdenschafbestandes. 1988 lag der prozentuale Anteil von Merino-Herdbuchmutterschafen am Zuchtschafbestand insgesamt ca. 66 Prozent. In den Hauptzuchtgebieten, den Bezirken Halle, Magdeburg, Potsdam, Dresden und Leipzig, lag der Anteil dieser Rasse sogar über 80 Prozent.
Lassen Sie uns raten, nach der Wende ging es damit steil bergab.
Leider ja. Der gegenwärtige Herdbuchbestand beträgt 5 000 Mutterschafe für die gesamte Bundesrepublik. Gezüchtet wird vorwiegend in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Brandenburg. Das Merino-Fleischschaf wird inzwischen durch staatliche Mittel gefördert, es steht mittlerweile auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Rassen.
Wir danken Frau Dr. Walther vom Sächsischen Schaf- und Ziegenzuchtverband e.V. für das Gespräch!
10 Dinge, die du über sächsische Merinos wissen solltest
- Der Name Merino stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von der Berberdynastie der Meriniden, die zwischen 1150 und 1300 im Süden Spaniens ansässig waren und ihre Schafe mitgebracht hatten. Die erste Erwähnung findet sich in einem 1307 erstellten Kaufvertrag eines Genueser Kaufmanns mit einem Händler in Tunesien.
- Bis zum 17. Jahrhundert stand die Ausfuhr von Merino-Schafen aus Spanien unter Todesstrafe. Das lag daran, dass das kastilische Königshaus das Export-Monopol auf die begehrte Merino-Wolle besaß. Nicht umsonst sprach man damals von „spanischer Wolle“.
- Die ersten Schafe, die König Karl III. verschenkte, war nicht die Herde an seinen Cousin in Dresden, sondern 1732 nach Schweden. Allerdings ohne Spuren in der Geschichte des Merinoschafes zu hinterlassen. Das war den sächsischen Züchtern vorbehalten.
- Zentrum der deutschen Merino-Zucht bis ins 19. Jahrhundert war das Vorwerk Rennersdorf im sächsischen Stolpen. Mitte des 18.Jahrhunderts trug der dort tätige Johann Gottfried Nake durch neue Zuchtmethoden maßgeblich dazu bei, dass deutsche Merino-Wolle als die edelste der Welt galt.
- Um 1800 gab es in Sachsen vier Millionen Merinos. Damit war es zum Zentrum der Merino-Zucht in Europa geworden.
- Zu einem weiteren Synonym für erfolgreiche Merino-Zucht in Sachsen wurde das Rittergut Leutewitz. 1865 errang einer ihrer Böcke auf der Pariser Weltausstellung 1865 einen ersten Preis. 1932 stellte der Präsident der sächsischen Landwirtschaftskammer, Hermann Vogelsang fest: „In der… Tierzucht ist Leutewitz im wahrsten Sinne des Wortes bahnbrechend vorangegangen.“ Für den Ruhm verantwortlich war die Familie Steiger, die von einfachen Bauern zu Vorzeigelandwirten aufstiegen. Sie besaßen das Rittergut bis zur Enteignung 1945.
- Eine Frau spielten in den frühen Tagen der australischen Feinwollindustrie eine herausragende Rolle. Ihr Name war Eliza Forlong. Sie führte die sächsische Merino-Blutlinien ein. Zwischen 1828 und 1830 wanderte sie durch Sachsen, kaufte Schafe und ließ sich in Zuchtfragen unterrichten.
- Das „sächsische Merino“ ist das kleinste der in Australien existierenden Merino-Schafe. Es teilt sich die Weideflächen mit „Peppin“, dem „südaustralischen“ und dem „spanischen“ Merino. Seine Wolle gilt als die feinste der vier Typen.
- Ein „Saxon-Merino“ entwickelt bis zur Scherung Wolle von ca. drei bis sechs Kilogramm, wobei die Hälfte des Gewichts Schmutz, Wollfett, Schweiß und Pflanzenreste ausmachen.
- Für 450.000 Australische Dollar, umgerechnet 284.000 Euro, wurde 1988 ein Merino-Bock auf der Schafmesse in Adelaide verkauft. Das ist bis heute Weltrekord.
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freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin