Wir von CARLMARIE haben uns einmal näher mit dem Phänomen der Slow Fashion beschäftigt und ergründen was genau eigentlich hinter dem Trend steckt, der sich gegen die Wegwerfmentalität bei Kleidung stellt. Was macht Slow Fashion aus und wie können wir sie in unseren Alltag integrieren.
Was ist „Fast Fashion“?
Die meisten von uns sind bestens vertraut mit dem, was von neuen, umweltbewussten Mode-Machern und -käufern als „Fast Fashion“ (deutsch: „Schnelle Mode“) bezeichnet wird. Sie ist billig und sie liegt im Trend. Ein T-Shirt für 3 Euro aus Bangladesch? Da weiß eigentlich heute fast jeder, dass das nicht nur von schlecht bezahlten und überforderten Fabrikarbeitern hergestellt wurde, sondern auch dass die Produktion dieser Ramschware die Umwelt schwer belastet, am Körper wahrscheinlich irgendwelche Schadstoffe hinterlassen hat und darüber hinaus demnächst auch auf den bereits überquellenden Mülldeponien landen wird. Seit Jahren wird der völlig sorglose Umgang mit Lebensmitteln und der unverhältnismäßige Einsatz von Chemikalien bei deren Produktion angeprangert. Doch dieses „Gütesiegel“ haftet längst auch der Modebranche an. Waldrodungen, Einsatz von Pestiziden, vergiftete Flüsse, brennende Fabriken und Kinderarbeit sind da nur die Spitze des Eisbergs. Wenn die Kleider nämlich einmal über Primark oder H&M beim Konsumenten gelandet sind, bleiben sie dort nicht lange. Jährlich landen alleine in Deutschland eine Million Tonnen an Textilien in den entsprechenden Sammelstellen. Die Ziffer, der auf dem Müll gelandeten Kleidungsstücken dürfte deutlich höher sein. Und dagegen machen jetzt vor allem die jüngeren Vertreter der Modewelt mobil.
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Das wuchernde Wachstum von Fast Fashion führte übrigens in den letzten Jahren auch zu einem extremen Anstieg des Einsatzes von Polyester, das inzwischen 60 Prozent der weltweiten Bekleidungsproduktion ausmacht. Der übermäßige Gebrauch dieser Kunstfaser verschmutzt mittlerweile weltweit Flüsse und Meere. Ein einziges Kleidungsstück gibt in nur einem einzigen Waschgang eine Million Mikroplastikfasern frei. Und die finden sich später nicht nur in unserem Essen wieder, sondern tragen auch zur Emission von Treibhausgasen bei.
„Buy less, choose it well, make it last“ (deutsch: „Kaufe weniger, wähle gut, sorg‘ dafür, dass es lange hält“)
Modedesignerin und Punk-Ikone Vivienne Westwood
Slow Fashion – sich auf das Gute konzentrieren
Trotz des Wissens um all diese negativen Faktoren der „Fast Fashion“ wird keiner von seinen Lastern lassen. So wie wir nach wie vor Chips und Salzstangen in uns reinfuttern – obwohl wir wissen, dass „Junk Food“ auf keinen Fall gut für unsere Gesundheit ist – werden wir auch immer wieder zu einem unserer Lieblings-T-Shirts aus dem Fast Fashion-Regal greifen. Und bezüglich dieser psychologischen Handicaps machen sich die Pioniere der „Slow Fashion“-Bewegung glücklicherweise auch gar keine Illusionen. Es reicht eben oft nicht aus, zwischen Gut und Schlecht unterscheiden zu können. Das Gute muss auch besser schmecken oder cooler aussehen. Statt sich auf „schlechtes Verhalten“ zu konzentrieren und es anzuprangern, geht es bei „Slow Fashion“ darum, sich auf das „gute Verhalten“ zu konzentrieren, Fair- und Slow-Fashion cool und trendy zu machen. Die „korrekte“ Mode und die richtige Herangehensweise an den nachhaltigen Umgang mit Textilien darf eben nicht als moralische Zwinganstalt sondern als etwas Wünschenswertes erscheinen. Nur so lassen sich lange eingeschliffene Verhaltensmuster Schritt für Schritt ändern.
Gibt es eine genaue Definition für Slow Fashion?
Die Social Media Hipster erfinden eigentlich jeden Monat ein halbes Dutzend neuer Trends und entsprechender Begriffe, um virale Wellen auszulösen und diese um den ganzen Globus zu schicken. Ist „Slow Fashion“ nicht auch nur solch ein inhaltsleerer Begriff? Fest steht: hinter „Slow Fashion“ steht keine wirkliche Institution wie Greenpeace, die genau überprüft, ob irgendwelche Richtlinien oder Grenzwerte eingehalten werden. Deshalb kann das für die Verbraucher irreführend sein, sollte eine Marke mit diesem Begriff werben. Doch obwohl es keine strengen Normen für „Slow Fashion“ gibt, werden alle, die sich #slowfashion nennen (und diesen Begriff auch nur halbwegs verantwortungsbewusst verwenden) auf einige der folgenden Verkaufsargumente nicht verzichten können:
Slow heißt vor allem Langlebigkeit
Wer Slow Fashion sagt, meint damit in erster Linie, dass die Bekleidungsstücke, Schuhe, Taschen und Accessoires „langsam“ gefertigt werden und damit auch dafür bestimmt sind, lange zu halten. Verwendete Rohstoffe und Materialien sollen so langlebig wie möglich sein. Bevorzugt, da sind sich die Unterstützer von „Slow Fashion“ einig, wird dabei vor allem Handarbeit. Und die birgt fast immer für eine gute Qualität. „Ausschuss“ ist eher eine Erscheinung der industriellen Massenproduktion. Nicht umsonst waren Gegenstände und Textilien früher für die „Ewigkeit“ gemacht, während sie heute Soll-Bruchstellen aufweisen, um Platz für den Nachschub nicht zu blockieren.
Slow heißt: zeitloser Stil
Heute wo Trends im Wochentakt proklamiert werden, kommen selbst eingefleischte Fashionistas nicht mehr hinterher, jederzeit die angesagtesten Klamotten zu kaufen und sie dann wenige Monate später auch immer noch zu tragen. Slow Fashion kennt dafür eine klare Lösung: „Weniger ist mehr“. Ein sauberer, luftiger Kleiderschrank ist gut für Effizienz, Freiheit und Selbsterkenntnis. Die meisten typischen Slow-Fashion-Teile lassen sich beliebig kombinieren und sind wahrscheinlich auch übermorgen noch nicht völlig out. Eine schwarze Stoffhose, ein weißes T-Shirt, ein Strickpullover mit Rollkragen, Wildleder-Caps oder eine Korbtasche sind zeitlose Klassiker und verhindern, dass sie ständig durch neue Billig-Textilien ausgetauscht werden müssen.
Slow Fashion hat immer eine Story
Marken, die mit dem „Slow Fashion“ – Etikett werben, beziehen sich oft auf den Herstellungsprozess. Im Vordergrund steht dabei meist die Handwerkskunst von einzelnen Herstellern und deren ganz spezifischer regionaler Geschichte. Es geht bei der Bewerbung von Slow Fashion-Mode also immer darum, drei Fragen zu beantworten, auf die man von den großen Herstellern meistens keine wirkliche Antwort bekommt. Die Fragen lauten: Wo? Wie? Und warum? … wurde dieses oder jenes Kleidungsstück hergestellt. Die Antworten darauf sind oftmals wie in den Stoff eingearbeitet und geben ihm eine ganz einzigartige Geschichte. Slow Fashion wertet damit die Produzenten auf und stärkt das Standing ihres Unternehmens.
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…auch für den Käufer
Slow Fashion gibt im Strom des Massenkonsums auch dem Käufer eines Kleidungsstücks ein Stück Authentizität zurück. Die meisten Hosen, Hemden, Jacken, Pullover oder Schuhe von Slow Fashion-Marken sind kleine „Indie“-Bekleidungslinien. Was bedeutet, dass diese Produkte nur schwer zu bekommen sind. Es ist unwahrscheinlich, dass man jemanden auf der Straße trifft, der dasselbe Oberteil trägt. Und wenn … dann bist du mit dem auf jedem Fall schnell im Gespräch. Slow Fashion ermutigt den Käufer zum bewussten Einkaufen und zur sorgfältigen Pflege seiner Garderobe. Zu etwas Einzigartigem, was nur schwer zu erstehen war und das auch nur schlecht zu ersetzen ist, wird MANN oder FRAU einen respektvollen Umgang finden.
Slow heißt: Du bist nicht allein
Wer Slow Fashion sagt, der ist damit eigentlich eine Verpflichtung in Bezug auf Nachhaltigkeit und menschliche Interaktion eingegangen. Und das heißt nicht nur, dass über Slow-Fashion-Netzwerke ein Produzent aus Ecuador mit einem Käufer aus Finnland verbunden wird. Vielmehr wollen Slow-Fashion-Marken eine spezifische und authentische Leidenschaft für ihre Marke entwickeln. Echte Passion und gleiche Zwecke bilden die Grundlage für dauerhafte Beziehungen, egal ob zwischen Freunden und Kollegen oder Produzent und Kunde. Slow Fashion verfolgt so das Ziel, den Handel zu personalisieren. Beim Kauf eines Kleidungsstücks soll es sich letztlich um eine emotionale Investition handeln. Hier geht es nicht mehr um eine seelen- und gesichtslose Transaktion, sondern um eine Art Investition für eine gemeinsame Vision. Slow Fashion will nicht nur der gedankenlosen Massenproduktion von Textilien, sondern auch der einsam machenden Praxis des Massenkonsums die Stirn bieten.
Mehr Second Hand, mehr Kleider leihen, mehr Kleider tauschen
Was früher nur aus Geldmangel genutzt wurde, ist heute oftmals auf eine gewissermaßen vorbildliche Haltung gegenüber der Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit von Bekleidung zurückzuführen. Selbst in der obercoolen Modeszene und bei Instagram-Influencern hat sich Second-Hand-Kleidung mittlerweile etabliert. Gerade die größten Fashionistas sind auf der Jagd nach Vintage-Stücken, günstigen Markenteilen und raren Einzelstücken. In den großen Städten gibt es dafür immer noch eine ganze Menge Second-Hand-Shops. Doch auch das Internet ist längst zum Zweite-Hand-Paradies geworden. Online-Plattformen wie Kleiderkorb, Klamottenbox und Kleiderkreisel bieten diesbezüglich vollen Service an.
Und selbst Kleider leihen ist heute wieder in. Diese mittlerweile hippe Spielart der Slow Fashion kannten viele der Nachkriegskinder nur noch aus Romanen oder Märchen, wo irgendein Aschenputtel oder der arme Vorstadtprinz sich Kleid oder Anzug für den großen Ball oder einen Opernbesuch leihen. Das schien lange her, weil sich einfach jeder alle Klamotten leisten konnte, die er brauchte. Doch in Zeiten von überquellenden Kleiderschränken und bis zu 80 Prozent permanent ungenutzten Kleidungsstücken sollte MANN oder FRAU eine equisite Jeans oder ein eigentlich zu teures Hemd auch mal leihen oder leasen können. Möglich machen das vor allem Internetseiten wie Kilenda oder Kleiderei. Und auch die mittlerweile berühmt berüchtigten „Klamotten-Tausch-Parties“ tragen dazu bei, dass sich der massenhafte Konsum von Wegwerfkleidung reduziert. Zu den oftmals öffentlichen Events bringen alle ihre einstigen Garderobenlieblinge mit, um sie gegen die anderer zu tauschen.
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin