Das Team um die Wissenschaftler Mariana Medina-Sánchez und Oliver G. Schmidt von der TU in Chemnitz und dem Institut für Integrative Nanowissenschaften in Dresden arbeiten seit einigen Jahren an einer kreativen Lösung, bei der Spermien als Mikrotransporter dienen sollen. Dabei setzt sich ein nur etwa zehn Mikrometer (0,01 Millimeter) großes Eisen-Geschirr an ein Spermium und kann magnetisch direkt an die Eizelle geführt werden oder Anti-Krebsmedikamente zielgenau an den Gebärmutterhals führen. Wir von CARLMARIE erklären, wie genau das funktionieren soll, auf welchem Stand sich die Entwicklung befindet und wann mit einer medizinischen Anwendung gerechnet werden kann?
Gebärmutterhalskrebs und Unfruchtbarkeit – die Zahlen
Gebärmutterhalskrebs ist eine der häufigsten Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane. Obwohl dieser Krebs im frühen und mittleren Stadium erfolgreich behandelbar ist, es mittlerweile sogar Impfmethoden gibt und die Todesrate seit Jahren zurückgeht, sterben immer noch ein Drittel aller betroffenen Frauen an dieser Krankheit. Im Jahr 2014 waren das nach Angaben des Zentrums für Krebsregisterdaten immerhin 1.506 Frauen. Auch Gebärmutterhalskrebs wird mittels einer per Infusion durchgeführten Chemotherapie bekämpft. Dabei werden oft nicht nur die Tumorzellen, sondern auch gesunde Zellen geschädigt. Die dadurch verursachten Nebenwirkungen sind für die Patienten oft extrem belastend. Deshalb suchen Wissenschaftler seit langem nach Lösungen, wie die Krebsmedikamente direkt und zielgenau zum Tumor zu bringen sind.
Auch das Problem der ungewollten Kinderlosigkeit ist für Frauen in Deutschland ziemlich akut. Jedes sechste Paar hätte gern Kinder, hat damit aber keinen Erfolg. In der Hälfte aller Fälle sind eine nicht ausreichende Spermienproduktion oder unbewegliche Spermien dafür verantwortlich. Dafür gibt es die Methode der künstlichen Befruchtung, die sogenannte Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Bei diesem Verfahren werden Frauen Eizellen und Männern Spermien entnommen und diese dann in der sogenannten Petri-Schale im Labor eingespritzt. Über 60.000 solcher – für Frauen zum Teil sehr unangenehmen – Prozeduren wurden im vergangenen Jahr vorgenommen. Dabei kam es bei etwa einem Drittel der Probandinnen zur Schwangerschaft, wobei in vier von fünf Fällen ein gesundes Baby zur Welt kam.
Forscher aus Dresden und Chemnitz entwickeln Mikrotransporter für Spermien
Die Nebenwirkungen der Chemotherapie bei Krebserkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane und die fehlende Geschwindigkeit und Zielgenauigkeit der Spermien bei der Befruchtung von weiblichen Eizellen – genau an dieser Problematik setzt die Forschung von Oliver G. Schmidt, Mariana Medina-Sánchez und ihrem Team vom Institut für Integrative Nanowissenschaften des Leibniz-IFW Dresden und der TU Chemnitz an.
Doch wie genau sieht nun ihre Lösung aus?
Im Prinzip geht es um sogenannte Nanotechnologie. Dabei werden zunächst winzig kleine „Geschirre“ für die Spermien konzipiert. Das helixförmige „Fahrzeug“ ist ein mit Eisen beschichtetes Polymer, welches nicht größer als zehn Mikrometer (entspricht 0,01 Millimeter) ist. Beim Einsatz gegen Gebärmutterhalskrebs, Eierstockkrebs und Gebärmutterkrebs werden die Spermien vorher im Labor in einer Lösung eingeweicht, die winzige mit Medikamenten gefüllte Blasen, sogenannte Liposome enthält. Diese werden von den Spermien aufgenommen und unter deren Membran sicher „verpackt“. Dann werden die Spermien „gezwungen“ in eine Art mechanisches Geschirr (eine sich selbst straffende mikrobearbeitete Struktur, die sich am Kopf des Spermiums anheftet) zu schwimmen. Dieser mikroskopisch kleine „Eisenanzug“ ermöglicht es den Forschern mittels eines äußeren Magnetfeldes, die Spermien genau dorthin zu lenken, wo sie die Medikamente hinbringen sollen. Der Mini-Eisengurt an den Spermien ist mit einem Schnellspanner versehen. Stößt der Sperm-Bot auf die gewünschte Oberfläche wird der Minitransporter abgeworfen und das Sperma kann sich in das gewünschte Gewebe graben.
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Die Mini-Transporter, die an sich gar kein Antriebssystem haben, aber durch die eisenhaltige Hülle von außen wunderbar magnetisch gesteuert werden können, helfen natürlich auch bei der Mobilisierung von zu trägen Spermien oder wenn davon zu wenige da sind. Mittels des Verfahrens von Medina-Sánchez und ihrem Team können die Sperm-Bots sehr zielgenau auf die weiblichen Eizellen gerichtet werden und so die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Befruchtung erheblich steigern.
87 Prozent der Krebszellen konnten vernichtet werden
In den Laboren der TU-Chemnitz wurde der Mechanismus mit den Spermien von Rindern getestet, da diese ungefähr die Größe von menschlichen Spermien haben. Dabei wurde das Tierspermium mit einem Standard-Chemotherapeutikum namens Doxorubicin bestückt. Ein Stoff, der in der Chemotherapie gegen Brust- und Lungenkrebs eingesetzt wird. Im August des vergangenen Jahres veröffentlichte das seriöse Wissenschaftsmagazin ACS Nano dann eine Studie, in der von einem ersten Durchbruch berichtet wurde. Dabei sei in einem Laborexperiment der erfolgreiche Transport der Krebs-Medikamente zum Tumor geglückt. Innerhalb von drei Tagen hätten dadurch 87 Prozent der Krebszellen vernichtet werden können.
Der Vorteil – Spermien finden ihren Weg zur Gebärmutter allein
Während des Experiments konnte außerdem festgestellt werden, dass der Eisen-Gurt die Geschwindigkeit der Spermien zwar etwa halbiere, sie sich aber immer noch mobil genug zeigen, um in die Krebszellen einzudringen. Die Spermien konnten nach Abwurf ihres „Transporters“ die Außensphäre der Tumorzellen durchdringen und so die kranken Zellen von innen abtöten. Obwohl sich die entsprechende Forschung nach wie vor noch in den Kinderschuhen befindet, ist der Ansatz doch revolutionär. Denn Spermien haben erhebliche Vorteile gegenüber anderen „Abgabesystemen“ von Medikamenten wie zum Beispiel Bakterien. Es liegt in ihrer Natur, sich gut durch den weiblichen Unterleib navigieren und mit anderen Zellen verschmelzen zu können. Denn genau das kennen sie von der Befruchtung von Eizellen. Im Gegensatz zu eingesetzten Bakterien vermehren sich Samenzellen nicht und lösen so keine ungewollten Immunreaktionen aus. Sperma schützt das transportierte Medikament außerdem vor Enzymen, die es auf dem Weg zum Ziel abbauen können. Sperma wirft auch seine „Ladung“ nicht unerwartet ab, wie es ein häufiges Problem bei sogenannten Mizellen (käfigartige Molekülkomplexe) ist.
Wer sind die Forscher hinter dem Projekt?
Hinter dem Forschungsprojekt stehen vor allem Professor Oliver G. Schmidt und Dr. Mariana Medina-Sánchez vom Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) in Dresden. Institutsdirektor Oliver Schmidt hatte bereits 2014 einen Fach-Artikel veröffentlicht, in dem er sich mit Sperm-Bots und ihrem Weg zur weiblichen Eizelle beschäftigte. Dabei drückte er auch die Hoffnung aus, dass andere Wissenschaftler zum Beispiel bessere Verfahren zur Wiedergabe von Bildern der mikroskopischen Objekte entwickeln könnten, damit diese durch die Haut besser zu sehen sind. Vor einem Jahr erhielt Schmidt für seine Forschungen zu Nanostrukturen von der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ (DFG) den renommierten „Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis 2018“.
Wann kann mit einer medizinischen Anwendung gerechnet werden?
So beeindruckend die Ergebnisse der Dresdner und Chemnitzer Forscher auch sind, so ist das Sperm-Bot-Projekt dennoch weit davon entfernt, in naher Zukunft medizinisch angewendet werden zu können. Der Test mit Rinderspermien kann als wertvolle Grundlagenforschung betrachtet werden, ist aber nach Meinung anderer Wissenschaftler, die die Studie ausgewertet haben, noch nicht mal eine sogenannte Machbarkeitsstudie und erst recht kein medizinischer Durchbruch. Der Berliner Urologe Mathias-Michael Slomka zum Beispiel sagte in der taz, dass das Verfahren „irgendwann einmal Realität werden könnte“. Ob die bisher erzielten Ergebnisse allerdings auch auf menschliche Spermien übertragbar seien, bleibe fraglich. „Es ist als Gedankenexperiment jetzt ganz schön, aber in der Umsetzung derzeit komplett unrealistisch“, so Slomka.
Es dauert oft einige Jahre, bevor ein medizinisches Verfahren oder ein Medikament zugelassen werden. Davor bedarf es noch zahlreicher Forschungsschritte, bei denen am Ende auch – bisher ethisch fragliche – Experimente mit Menschen stehen. Dennoch zeigen die Forscher von TU Chemnitz und dem Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) in Dresden, dass in den bisher ungelösten Fragen zur Bekämpfung von Unfruchtbarkeit und Krebs neue Wege beschritten werden können. Für die momentan Betroffenen wird das Verfahren mit den „motorisierten“ Spermien zwar keine Heilung bringen können. Aber Hoffnung für die Zukunft bringt es allemal.
freier Journalist für die Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung und das CarlMarie Magazin